Hallo Inga,
Liebe Grüße, Jana
mein Freund und ich sind noch nicht allzu lange zusammen, also wir sind erst 2,5 Monate zusammen. Allerdings kennen wir uns schon 1,5 Jahre. (…) es ist eigentlich alles perfekt. Diese Beziehung ist auch alles, was ich je wollte (…) wir sehen uns sehr oft, manchmal 6/7 Mal pro Woche, aber wenn wir uns dann 3 Tage mal nicht sehen, ist er direkt so abweisend. Ich habe mir auch bereits andere Artikel von dir durchgelesen und habe mir die 5 Phasen einer Beziehung angeschaut und ich habe das Gefühl, dass wir oder zumindest er nicht mehr in der verliebten Phase sind/ist. Allerdings kann ich mir irgendwie nicht vorstellen, dass er oder wir so schnell raus aus dieser Phase sind. Das Problem ist, dass mein Freund vor 3/4 Monaten noch so unfassbar viel mit mir geschrieben hat (…). Egal, was er gerade gemacht hat, sehr viel am Tag mit mir telefoniert hat, aber jetzt ist ihm das alles so unwichtig geworden. Manchmal muss ich 1,5 Stunden auf eine Nachricht von ihm warten, oder ihm macht es nichts aus, wenn wir einen Tag nicht telefonieren. Manchmal gibt er mir auch das Gefühl, dass andere Dinge einfach wichtiger sind als ich. (…) Das Problem ist auch, dass ich ihn immer sehr doll vermisse, wenn er nicht bei mir ist. Ich weine deshalb sogar öfter und manchmal kommt das dann so rüber, als würde es ihn nicht mal interessieren, dass ich deshalb weine. Vor allem gibt er mir halt das Gefühl, dass er mich einfach nicht vermisst. Er sagt es auch nie. Vor 3/4 Monaten allerdings hat er das noch sehr oft gesagt und auch gezeigt. Er war früher einfach noch so viel lieber zu mir, wenn wir nicht beieinander waren und da war ich immer so glücklich, weil er mir so viel Aufmerksamkeit und Liebe geschenkt hat (…) Ich weiß nicht, was ich tun soll, weil ich ihn echt sehr doll liebe und wenn wir bei einander sind, ist auch alles gut. Es macht mich immer fertig, wenn er nicht bei mir ist, weil er mir gar nicht mehr dieses Gefühl wie früher gibt. (…) Vielleicht bin ich auch zu anhänglich und gebe ihm zu wenig Freiraum, aber ich weiß nicht, wie ich das ändern soll und ehrlich gesagt, schaffe ich es auch gar nicht weniger anhänglich zu sein. Aber ich halte das nicht aus ihn immer so sehr zu vermissen, während es ihm gefühlt egal ist, dass ich nicht bei ihm bin.
Ob du zu anhänglich bist oder nicht, entscheidest im Endeffekt du selbst. Dein Partner entscheidet das nicht und auch sonst niemand.
Anhänglichkeit ist auch nicht per se schlecht. Was für den einen schon zu anhänglich ist, ist für jemand anders normal oder sogar gut. Anhänglichkeit ist erst einmal neutral. Erst wenn sie für dich zum Problem wird, kannst du „zu anhänglich“ sein.
In deinem Fall sagst du über dich selbst: „Vielleicht bin ich auch zu anhänglich und gebe ihm zu wenig Freiraum“. Dann ist es eine andere Geschichte. Wenn du den Verdacht hast, du könntest über ein normales Maß hinaus anhänglich sein, und deshalb leiden, musst du das abklären.
Die entscheidende Frage ist also: Bin ich zu anhänglich? Dafür gibt es ein paar Leitfragen, mit denen du dich selbst testen kannst.
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Bin ich zu anhänglich? 1. Testfrage: Leidest du unter der Situation?
Wenn man sich fragt, ob etwas „normal“ ist, lautet die erste Frage, die man sich stellen sollte: Leide ich unter der Situation? Normal ist alles, was niemandem schadet (auch dir nicht). Wenn du gerne shoppen gehst, ist das erst dann ein Problem, wenn du darunter langfristig leidest, weil du mehr Geld ausgibst, als du hast.
Du schreibst, du würdest es nicht aushalten „ihn immer so sehr zu vermissen“. Wenn du das Gefühl hast, etwas nicht aushalten zu können, ist Leid im Spiel. Du sagst auch, dass du öfter deshalb weinen würdest. Ein weiteres Warnzeichen. Wer weint, ist vermutlich traurig.
Außerdem schreibst du, es sei „ihm gefühlt egal“, wenn du nicht da wärst. Das ist eine negative Vermutung, zu der es keinen Anlass gibt. Zumindest lese ich keinen aus deiner Nachricht heraus. Du schreibst, ihr würdet euch „sehr oft“ sehen, „manchmal 6/7 Mal pro Woche“. Außerdem sei zwischen euch „eigentlich alles perfekt“. Diese Beziehung sei auch alles, was du je wolltest. Das klingt für mich nicht nach einem Partner, dem es egal wäre, wenn du nicht da wärst. Es klingt eher so, als würdest du dich nicht geliebt und verunsichert fühlen. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass er mit diesem Gefühl auch etwas zu tun hatte.
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Bin ich zu anhänglich? 2. Testfrage: Verursacht deine Anhänglichkeit Probleme?
Die zweite Testfrage ist nah verwandt mit der ersten, aber es gibt einen feinen Unterschied mit großer Auswirkung. Bei der ersten Testfrage geht es nur um dich. Es geht darum herauszufinden, ob du unter deiner Anhänglichkeit leidest. Die zweite Testfrage zielt dagegen auf andere Menschen ab. Leidet jemand anders unter deiner Anhänglichkeit? Weil wir nicht in die Köpfe anderer Menschen hineinsehen können, müssen wir dafür überprüfen, ob deine Anhänglichkeit Probleme verursacht.
Ein Beispiel: Dein Partner könnte unter deiner Anhänglichkeit leiden, aber wie würde sich das zeigen? Ihr würdet vermutlich streiten, weil er sich eingeengt fühlt. Vielleicht würde er dir auch direkt sagen, dass du zu anhänglich bist, aber das muss nicht sein. Vielleicht zieht er sich auch zurück, um sich so Freiräume zu schaffen.
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Bin ich zu anhänglich? 3. Testfrage: Brauchst du ständige Bestätigung?
Hand aufs Herz: Wie oft hast du deinem Partner schon die Frage „Liebst du mich?“ gestellt? Anhängliche Menschen sind im Grunde unsichere Menschen. Deshalb wünschen sie sich ständig Bestätigung.
Jeder Mensch möchte geschätzt und geliebt werden, aber Menschen mit einer sicheren Bindung vertrauen darauf, dass ihr Partner seine Gefühle nicht innerhalb von zwei Tagen verändert. Wer dieses Grundvertrauen nicht hat, braucht dagegen immer wieder Beweise, dass die Gefühle noch da sind. Und wenn es keine Beweise gibt, ist das automatisch ein Anzeichen für das Gegenteil. Machst du dir immer wieder Sorgen, dass er dich nicht genug liebt? Oder dass du ihn mehr lieben könntest als er dich?
Überleg mal, ist es wirklich ein Anzeichen dafür, dass dein Freund dich nicht vermisst, wenn du manchmal „1,5 Stunden auf eine Nachricht von ihm warten“ musst? Oder könnte es noch einen anderen Grund dafür geben, dass er nicht sofort zurückschreibt? Plausible Gründe, die nichts mit einem Mangel an Zuneigung für dich zu tun haben. Er könnte zum Beispiel Fußball spielen, oder in einem Meeting festhängen, oder eingeschlafen sein – die Liste an Möglichkeiten ist ziemlich lang. Wäre es wirklich so schlimm, wenn es ihm nichts ausmachen würde, wenn ihr einen Tag nicht telefonieren würdet? Bedeutet das zwangsläufig, dass es ihm egal ist, wenn du nicht da bist?
Wenn du das nächste Mal eine negative Vermutung aufstellst, zwing dich selbst dazu, mindestens drei alternative Gründe für sein Verhalten zu finden, die NICHTS mit dir zu tun haben. Es geht viel seltener um dich, als du glauben würdest.
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Bin ich zu anhänglich? 4. Testfrage: Machen dich Kleinigkeiten unsicher?
Wenn dein Freund nicht anruft, nicht antwortet, zu lange braucht, um zu antworten – egal, welche Kleinigkeit passiert – verunsichert dich das?
Menschen, die zu anhänglich sind, sind schnell verunsichert. Dafür reichen bereits Dinge, die Andere als Kleinigkeiten abstempeln würden. Der Grund dafür ist, dass übermäßig anhängliche Menschen abhängig von anderen sind. Sie brauchen ihre Partner, um sich gut zu fühlen. Also suchen sie ständig nach Warnzeichen dafür, dass sie verlassen werden könnten.
Stell dir vor, du kriegst von alleine keine Luft. Du brauchst eine Sauerstoffflasche. Dann würdest du dem einzigen Menschen, der eine Sauerstoffflasche hat, nicht von der Seite weichen. Du würdest außerdem beim ersten Anzeichen, dass diese Person gehen möchte, Alarm schlagen.
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In etwa so verhält es sich mit sehr anhänglichen Menschen und ihren Bezugspersonen. Sie achten penibel auf jeden noch so kleinen Hinweis, dass dieser Mensch, von dem ihr Glück abhängt, sie verlassen könnte. Warum schreibt er heute so wenig? Vermisst er mich nicht? Warum benutzt er keine Herz-Emojis? Verliert er das Interesse an mir? Warum ist er so einsilbig? Ist er sauer auf mich?
Du merkst: Dieses Klammern kann für alle Beteiligten ganz schön anstrengend werden. Du bist ständig nervös und stresst dich, aber für ihn ist es auch nicht einfach. Stell dir vor, dein Verhalten würde permanent analysiert, verglichen und interpretiert werden. Ganz abgesehen davon, dass es auch enorm unter Druck setzt, wenn man für das Glück eines anderen verantwortlich ist. Eine natürliche Konsequenz daraus kann sein, dass der Partner sich zurückzieht.
Du schreibst: „Das Problem ist, dass mein Freund vor 3/4 Monaten noch so unfassbar viel mit mir geschrieben hat (…). Egal, was er gerade gemacht hat, sehr viel am Tag mit mir telefoniert hat, aber jetzt ist ihm das alles so unwichtig geworden. Manchmal muss ich 1,5 Stunden auf eine Nachricht von ihm warten, oder ihm macht es nichts aus, wenn wir einen Tag nicht telefonieren.“ Außerdem sagst du: „Vor allem gibt er mir halt das Gefühl, dass er mich einfach nicht vermisst. Er sagt es auch nie. Vor 3/4 Monaten allerdings hat er das noch sehr oft gesagt und auch gezeigt. Er war früher einfach noch so viel lieber zu mir“.
Ein Stück weit sind Vergleiche mit der Vergangenheit ganz normal und natürlich, nach 2,5 Monaten Beziehung sind sie jedoch eher ungewöhnlich. Auch du schreibst, du könntest dir „irgendwie nicht vorstellen“, dass ihr „so schnell raus“ aus der verliebten Anfangsphase der Beziehung seid. Es gibt nichts, was es nicht gibt, aber in deinem Fall: Könnte es vielleicht daran liegen, dass ihm die Aufmerksamkeit zu viel geworden ist? In so einem Fall hat der Partner gar nicht genug Raum, um seine Verliebtheit auszudrücken, selbst wenn sie noch da ist. Das kommt vor.
Das größte Problem ist übrigens nicht nur, dass du selbst von Kleinigkeiten verunsichert bist, sondern dass sie wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung wirken können. Wer Fehler sucht, findet sie. So werden aus Beobachtungen Vorwürfe und du bist schon verletzt, bevor dein Partner überhaupt weiß, dass es ein Problem gab.
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Bin ich zu anhänglich? 5. Testfrage: Wie eigenständig bin ich?
Beim Lesen deiner Nachricht bin ich über diesen Satz gestolpert: „Manchmal gibt er mir auch das Gefühl, dass andere Dinge einfach wichtiger sind als ich.“ Findest du es schlimm, wenn andere Dinge ihm manchmal wichtiger sind als du? Für mich klingt diese Einstellung nämlich ganz vernünftig.
Ich will die Nummer 1 im Leben meines Mannes sein, aber es gibt Momente, da müssen andere Dinge wichtiger sein als ich. Seine Arbeit zum Beispiel. Wenn mein Mann seine Kunden nicht zur Priorität machen würde, hätte er vermutlich keine. Dann hätte ich einen unglücklichen Ehemann zuhause und einen Batzen Rechnungen, die ich alleine begleichen müsste. Es ist also absolut in meinem Interesse, wenn meinem Mann andere Dinge manchmal wichtiger sind als ich.
Was ist mit deinen Freunden? Stell dir vor, dir geht es so richtig mies. Du brauchst deine beste Freundin, weil du dringend mit jemandem sprechen musst. Sie sagt dir aber ab, weil sie bereits Pläne mit ihrem Freund hat. Würde sich das nicht fürchterlich anfühlen? Du hast einen Notfall, aber deine beste Freundin schert sich nicht darum, weil ihr Partner fernsehen will.
Ein weiteres Beispiel: Du hast deinem Freund versprochen zum nächsten Fußballspiel seines Vereins zu gehen, aber deine Mama kommt ins Krankenhaus. Wäre es dann richtig, bei deinen ursprünglichen Plänen zu bleiben? Solltest du deinem Freund nicht lieber absagen und zu deiner Mama ins Krankenhaus fahren?
Manchmal müssen andere Menschen wichtiger als der eigenen Partner sein. Nicht immer, aber manchmal eben schon.
Wie ist das bei dir? Lässt du alles stehen und liegen, wenn er anruft? Nimmst du dir immer Zeit für ihn?
Anhängliche Menschen können wunderbare Partner sein. Du bist vermutlich eine treue Seele, die Loyalität ganz großschreibt. Wahrscheinlich bist du auch bereit, alles zu tun, damit dein Partner glücklich ist. Die Kehrseite der Medaille ist aber, dass solche Menschen dazu neigen, sich selbst zu vernachlässigen.
- Sagst du Treffen mit deinen Freunden für deinen Partner ab? Freundinnen können uns Dinge geben, die ein Partner nie leisten könnte.
- Denkst du ständig an ihn? Denn so hast du gar nicht den Raum für dein eigenes Leben, deine Gedanken sind ja schon besetzt.
- Siehst du deine Familie noch? Die wichtigsten Menschen in unserem Leben vernachlässigen wir oft als erstes, weil wir wissen, dass sie es uns verzeihen werden.
- Hast du ein Hobby? Etwas, dass du nur für dich machst. Am besten auch etwas, bei dem du ganz unabhängig von anderen Menschen bist.
- Kannst du Dinge alleine unternehmen oder brauchst du zu jeder Zeit Gesellschaft?
- Verletzt es dich, wenn deine Lieben etwas ohne dich unternehmen?
- Bist du eifersüchtig, wenn er eine gute Zeit hatte, obwohl du nicht dabei warst?
Wer sich selbst in einer Beziehung vernachlässigt, hört nach und nach auf die Dinge zu tun, die einen vorher glücklich gemacht haben. Stattdessen wird mehr vom Partner verlangt. Mit der Zeit werden die Forderungen so groß, dass sie nicht mehr erfüllt werden können. Du bist unglücklich, weil er dir nicht das gute Gefühl vom Anfang gibt. Er wird unglücklich, weil er für dein Glück verantwortlich ist.
Deshalb ist Eigenständigkeit etwas Gutes. In einer Beziehung vielleicht sogar der Schlüssel zum langfristigen Glück. Du schreibst, du wüsstest nicht, wie du es schaffen könntest, „weniger anhänglich zu sein“. Füll deinen Kalender wieder mit Dingen, die dich glücklich machen und die nichts mit deinem Partner zu tun haben.
Außerdem ist Selbsterkenntnis bereits der erste Schritt zur Besserung. Das Beste daran ist jedoch, dass du das Problem dann nicht mehr alleine lösen musst, wenn du es erst einmal erkannt hast. Du kannst mit deinem Partner sprechen und ihn so zu deinem Verbündeten machen. Er kann dir helfen.
Hinter Anhänglichkeit steht Verlustangst. Nichts schafft mehr Nähe, als wenn wir in einer Beziehung ehrlich sind und auch unsere Schwächen offenlegen. Das schafft nämlich Vertrauen. Das beste Gegenmittel zur Verlustangst. Der Impuls anhänglich zu handeln verschwindet dadurch nicht, aber du kannst dem Impuls dann vielleicht besser standhalten.
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Außerdem bist du vermutlich selbst dein größter Feind. Wenn es eine Sache gibt, die Anhänglichkeit massiv befeuert, dann ist es ein geringer Selbstwert. Wie sprichst du mit dir selber? Vermutlich viel härter als du je mit einem anderen Menschen sprechen würdest. Vielleicht bist du selber der Punkt, an dem du ansetzen kannst. Verletzungen aus der Vergangenheit können zu Verlustängsten führen. Du kennst dich selbst am besten. Was würde dir am meisten helfen? Das kann im Endeffekt alles sein – von einem Selbsthilferatgeber bis hin zur Therapie.