Angeblich ist das erste Ehejahr das schwerste.
Das wäre schön, denn dann hätte ich das schwerste Jahr meiner Ehe schon hinter mir und ab jetzt wäre alles nur noch rosarot und kribblig (und scheidungssicher).
Früher hat man erst nach der Hochzeit einen Haushalt, ein Bett und ein Konto geteilt. Die Heirat war der Startschuss für das gemeinsame Leben. Dass das erste Ehejahr damals herausfordernd war, kann sich jeder vorstellen. Vermutlich stammt dieser Spruch aus der Zeit.
Aber heute, wo die meisten Paare bereits vor der Hochzeit jahrelang zusammenleben, was ändert sich da noch groß?
Tja, wie sich herausstellt verdammt Vieles…
1. Du wirst unfreundlicher
Es gab mal eine Studie, in der untersucht wurde, wie sich Menschen nach einem Jahr Ehe verändern. Das Resultat ist wenig überraschend für Menschen, die das bereits hinter sich haben, aber erstaunlich für Unverheiratete.
Die Psychologen haben Ehepaare sechs, zwölf und 18 Monate nach der Hochzeit untersucht. Dabei kam heraus, dass die größte Veränderung in der Persönlichkeit nach etwa 12 Monaten geschah, also nach dem ersten Ehejahr.
Was veränderte sich? Beide Ehepartner wurden gereizter, ungeduldiger und unfreundlicher.
Das erklärt, warum das erste Ehejahr hart ist, auch wenn sich augenscheinlich nicht viel ändert. Man lebt plötzlich mit einem dauer-genervten Mann zusammen und ist auch noch selber gereizt.
Das besonders Beeindruckende an diesen Ergebnissen war jedoch, dass diese Resultate immer auftraten. Unabhängig davon, ob die Partner schon vor der Hochzeit zusammengelebt haben, wie lange sie ein Paar waren, bevor sie geheiratet haben, wie alt sie waren, ob sie Eltern waren, oder wie gut es ihnen finanziell ging. Alle waren nach dem ersten Ehejahr gereizter, ungeduldiger und unfreundlicher. Das erwartet einfach jedes Ehepaar.
Die Wissenschaftler vermuten, dass sich dies wieder legt, nachdem beide Ehepartner sich an ihre neuen Rollen gewöhnt haben. Aber es gibt noch einen weiteren Grund für die zunehmende Reizbarkeit, der nicht direkt mit der neuen Rolle als Ehefrau oder Ehemann zu tun hat…
2. Kleinigkeiten werden wichtiger
Früher hat es dich vielleicht genervt, wie dein Partner nasse Handtücher zusammenknüllt und im Bad liegen lässt. Doch nach der Hochzeit ist da plötzlich diese Stimme in deinem Kopf, die flüstert: „für immer“.
Jetzt bist du nicht mehr leicht genervt, sondern du bist verunsichert, weil du dich fragst, ob du für den Rest deines Lebens seine nassen Handtuchbälle im Bad aufsammeln musst. So wird aus jeder nervigen Kleinigkeit ein gewaltiges Problem.
Jeder Streit, jede Enttäuschung, jede Entscheidung hat plötzlich viel mehr Gewicht, weil es das jetzt war. Er ist dein Mann, deine Für-immer-Person. Alles, was er tut, hat Auswirkungen auf dich. Natürlich wird man dann gereizter.
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3. Ihr werdet anders wahrgenommen
Vielleicht bist du jemand, der glaubt, dass sich mit der Heirat nichts ändert. Egal, was die Studien sagen. Ihr seid bereits seit Jahren zusammen, wohnt zusammen und seht euch sowieso längst als eine Einheit. Was du dabei vergisst, ist jedoch die Welt um dich herum.
In den Wochen und Monaten nach der Hochzeit wirst du merken, dass sich für euch vielleicht nicht so viel geändert hat, aber für euer Umfeld schon. Gerade für ältere Menschen hat eine Heirat ein ganz anderes Gewicht. Ihr werdet anders wahrgenommen und auch behandelt werden.
Plötzlich wirst du ernster genommen, weil du nicht mehr von deinem Freund, sondern von deinem Mann erzählst. Als wärst du jetzt, wo du geheiratet hast, endlich erwachsen geworden. Deine Großcousine übergibt dir plötzlich eine Wagenladung Babykleidung von ihrer Tochter, weil du jetzt doch bestimmt bald Kinder haben wollen wirst. Aber nicht nur deine Familie wird sich ändern, seine ebenso.
4. Dein Verhältnis zu seiner Familie ändert sich
Du hast den Gedanken daran, dass seine Eltern jetzt deine Schwiegereltern sind, vielleicht längst akzeptiert, aber das heißt ja nicht, dass sie sich vor der Hochzeit auch schon solche Gedanken gemacht haben.
Du hast vielleicht sogar insgeheim erwartet, dass du in deiner Schwiegerfamilie mit offenen Armen empfangen wirst. Du hattest diese Fantasie von einem tollen Verhältnis und einer warmen und herzlichen zweiten Familie. Jetzt stellst du überrascht fest, dass in deiner Schwiegerfamilie niemand auf dich gewartet hat – und sie auch gar nicht so froh sind, dass du jetzt da bist.
Ich habe die Theorie, dass manche Eltern sich selbst nicht gerne als Schwiegereltern sehen. Sie schieben diesen Gedanken beiseite, so lange sie können. Sie kämen sich sonst alt vor und müssten ihr Kind noch ein Stückchen mehr loslassen. Vielleicht müssen sie auch erst einmal ihren Frieden mit ihrer neuen Rolle finden, weil sie selbst nicht das beste Verhältnis zu ihren Schwiegereltern hatten.
Spätestens mit eurer Hochzeit müssen sie sich damit jedoch auseinandersetzen. Stell dich auf eine holprige Fahrt ein.
Es gibt jedoch auch den anderen Fall: Wenn du dich vor der Hochzeit gar nicht mit diesem Gedanken befasst hast und deine Schwiegereltern jetzt endlich die Tochter haben, die sie sich immer gewünscht hatten. Jetzt trifft es dich mit voller Wucht: Du hast nicht nur deinen Mann geheiratet. Herzlichen Glückwunsch, seine Familie ist jetzt auch deine Familie.
Egal, wie es läuft, im ersten Ehejahr haben alle Beteiligten neue Rollen, an die sie sich gewöhnen müssen. Es werden Grenzen abgesteckt und Erwartungen entdeckt, von denen beide Seiten vielleicht gar nicht wussten, dass sie sie haben.
Und übrigens: Nicht nur bei dir und deinem Mann, auch bei seiner und deiner Familie schwingt jetzt immer diese leise Stimme im Kopf mit („für immer“).
5. Du lernst, welche Erwartungen du hast
Vor der Hochzeit liest man immer von diesen Erwartungen, die doch so viel Schaden anrichten können, aber man wiegt sich in Sicherheit, weil man selbst glaubt keine zu haben.
Tja, das stimmt nicht. Du hast Erwartungen, du weißt es bloß noch nicht.
Das Problem bei Erwartungen ist, dass man immer erst weiß, dass man welche hat, wenn sie nicht erfüllt werden. Es ist extrem schwierig Erwartungen im Vorfeld zu erkennen, weil sie für dich einfach „normal“ sind.
Ein banales Beispiel: Du würdest nie auf die Idee kommen, einen Salat aus Tomaten, Mozzarella und Radieschen zuzubereiten. Die Kombination passt für dich nicht, für deinen Mann aber schon. Selbst das sind bereits unterschiedliche Erwartungen.
Ich war nach dem ersten Ehejahr überrascht festzustellen, dass ich ganz schön viele Erwartungen hatte.
In meiner Vorstellung war ich als Ehefrau diese perfekte Hausfrau, die gleichzeitig Karriere macht und dabei top gestylt ist. Mein Mann war in meiner Fantasie natürlich genau wie ich, nur eben als Mann.
In Wahrheit war Corona und ich trug fast jeden Tag Jogginghosen, war ungeschminkt und unser Schlafzimmer bestand praktisch nur aus Wäschebergen, weil wir beide lieber arbeiten, als Wäsche zu waschen. Zudem waren wir ständig gereizt und unser Küchenboden krümelig. Zugenommen habe ich übrigens auch.
Kurzum: Meine Erwartungen wurden komplett über den Haufen geworfen. Man könnte es auch persönliches Versagen nennen.
Die gute Nachricht ist, dass du nach dem ersten Ehejahr lernst, was wirklich wichtig ist und worauf du eigentlich bequem verzichten kannst. Das reduziert den eigenen Stress ungemein und den Beziehungsstress übrigens auch.
Die schlechte Nachricht ist, dass du im ersten Ehejahr lernen musst, das Unerwartete zu erwarten.
Du bist davon ausgegangen, dass jeder sein eigenes Konto behält? Pustekuchen, dein Mann wünscht sich ein gemeinsames, auf das all euer Geld fließt, damit ihr für ein Haus sparen könnt. Dir war klar, dass sich erst einmal nichts ändert? Überraschung, jetzt will dein Partner ein Baby.
Das Leben steckt voller Überraschungen und weil du geheiratet hast, werden sich deine jetzt verdoppeln.
Du hast ein Beziehungsproblem, das dich nachts nicht schlafen lässt? Dann schreib mir. Erzähl mir von deinem Problem und ich verrate dir in einem Artikel, was ich darüber denke. Schick mir einfach eine Mail an hallo@fraginga.de. Ich freue mich von dir zu hören. 🙂
deine Inga
6. Dein Mann wird sich ändern
In der Studie, die ich am Anfang erwähnte, haben die Forscher nicht nur herausgefunden, dass Ehepaare nach dem ersten Jahr gereizter sind. Sie haben auch noch geschlechtsspezifische Veränderungen in der Persönlichkeit festgestellt.
Frauen waren nach dem ersten Ehejahr weniger offen und hatten weniger Interesse an neuen Erfahrungen. Männer wurden introvertierter und anderen Menschen gegenüber verschlossener.
Die Psychologen haben aber zum Glück nicht nur negative Veränderungen in der Persönlichkeit festgestellt. Demnach wurden Männer nach dem ersten Ehejahr auch sensibler und achtsamer. Frauen wurden emotional ausgeglichener.
Ihr werdet euch beide verändern, nicht immer zum Guten, aber das ist auch mal okay.
Stell dir vor, wir würden uns gar nicht verändern. Wärst du glücklich mit dir, wenn du noch immer so ticken würdest wie dein 20-jähriges Ich? Ja, dachte ich mir. Wahrscheinlich bist du nicht einmal mehr dieselbe Person, die du vor einem Jahr noch warst – und das ist auch gut so.
Lesetipp: Warum eine Beziehung nie so bleiben kann, wie sie am Anfang war
7. Ihr werdet euch etwas zurückziehen
Übersetzen wir doch mal, was es bedeutet, wenn Frauen weniger offen für Neues und Männer introvertierter werden: Ihr bleibt am liebsten Zuhause und habt keine Lust, Zeit mit anderen zu verbringen. Ihr zieht euch also zurück in euren kleinen Ehekosmos.
Dass Männer und Frauen nach dem ersten Ehejahr verschlossener und erlebnisfauler werden, hat laut den Wissenschaftlern übrigens einen einfachen Grund: Sie wenden sich der Beziehung zu.
Die Theorie ist, dass man sich im ersten Ehejahr mehr auf die neue Beziehungsphase konzentrieren muss. Ähnlich wie in der Anfangszeit einer Beziehung. Verliebte ziehen sich auch zurück und bleiben in ihrer eigenen kleinen Welt, um sich kennenzulernen und die Regeln der Beziehung auszuhandeln. Frisch Verheiratete haben auch viel auszumachen, also bleiben sie ebenfalls unter sich.
Bewusst wird euch dieser Rückzug höchstens im Nachhinein, denn wie gesagt: Ihr habt ja gar keine Lust Neues zu erleben oder neue Menschen kennenzulernen. Ihr vermisst also nichts. Der eine oder andere Vorwurf von der Familie dürfte euch aber sicher sein.
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8. Dein Weg ist nicht der Richtige
Wir wissen jetzt, dass es überraschend viel auszuhandeln gibt, wenn man frisch verheiratet ist. Das ist aber gar nicht das, was das erste Ehejahr so schwierig macht. Das Problem ist viel eher, dass jeder denkt, dass seine Ansichten die besseren sind.
Es kommt plötzlich zum Kampf darum, wer die Oberhand hat, weil jeder versucht in diese neue Struktur, möglichst viel von sich hineinzugeben. Also kommt es zum Streit.
Du benutzt lieber Persil, er mag Ariel am liebsten. So banal es klingt, aber selbst der Waschmittelkauf bekommt eine neue Tiefe, weil da wieder diese blöde „für immer“-Stimme ist. Vor der Hochzeit hast du dir noch gedacht „es ist bloß Waschmittel“, nach der Hochzeit denkst du viel eher, dass du nicht für den Rest deines Lebens ein Waschmittel kaufen willst, dessen Duft du gar nicht magst, also ziehst du in den Kampf.
9. Man kann jemanden lieben, den man nicht mag
Viele Frauen sind extrem verunsichert, wenn sie plötzlich feststellen, dass sie den Mann, den sie erst vor wenigen Monaten geschworen haben für immer zu lieben, gerade nicht einmal mehr leiden können. Das ist eine normale Begleiterscheinung der Ehe.
In unserer von Social Media geprägten Welt sind wir verunsichert, wenn wir die hässlichen Seiten einer Ehe entdecken – und die gibt es. Dieselbe Frau, die gerade auf Instagram strahlend ihrem Mann um den Hals fällt, der ihr hundert Rosen und einen Teddy so groß wie sie selbst geschenkt hat, hat ihm vielleicht erst vor einer halben Stunde ihren Selfiestick hinterhergeschmissen.
Die Realität der Ehe sieht so aus, dass es Tage geben wird, an denen dein eigener Mann dich unendlich nervt und du ihn nicht einmal mehr magst. Eine Woche später liebst du ihn wieder über alles. Sogar noch tiefer als zu Beginn eurer Beziehung.
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10. Du kommst aus der Nummer nicht mehr einfach raus
Stell dir ein Glas Wasser und ein Glas Wodka vor. Optisch sehen sie sich ähnlich, aber wenn du einen Schluck getrunken hast, weißt du sofort, dass du es mit zwei sehr unterschiedlichen Flüssigkeiten zutun hast. Dasselbe lässt sich auf das Zusammenleben als Paar und die Ehe übertragen.
Auf den ersten Blick ist nicht viel anders, aber Zusammenzuleben ist erstaunlich unverbindlich. Du kommst einfach raus. Aus der Ehe gibt es keinen leichten Weg.
Plötzlich betrifft eine Trennung nicht mehr nur euch beide. Die Ehe ist wie ein Siegel, dass deinem direkten Umfeld sagt: „Der bleibt, du kannst ihn ins Herz schließen.“ Deine Familie bindet sich stärker an ihn und deine Freunde freunden sich auch mit ihm an (oder enger mit ihm an). Je mehr Jahre vergehen, desto größer wird die Rolle, die dein Mann im Leben deiner anderen Liebsten übernimmt. Wenn du dich jetzt trennst, betrifft es auch sie.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Wer heiratet bekundet öffentlich, dass er sich an diesen einen Menschen für den Rest seines Lebens bindet. Das heißt: Wer sich scheidet, bekundet genauso öffentlich, dass er das nicht geschafft hat. Es fühlt sich wie öffentliches Versagen an.
Vielleicht bist du eine extrem starke Frau, die sich überhaupt nicht darum kümmert, was andere von ihr denken. Die meisten sind das aber nicht. Du merkst nach der Hochzeit also schnell, dass es keinen einfachen Ausweg gibt.
11. Das erste Ehejahr ist ein Vorgeschmack auf das, was kommt
Wenn man alle Faktoren berücksichtigt, ist das erste Ehejahr schon hart, aber es ist nicht zu hart. Es ist nicht das schwerste Jahr (und wenn doch, dann Glückwunsch). Aber das erste Ehejahr hinterlässt einen ersten Eindruck davon, was es heißt, jemandem treu zur Seite zu stehen „in guten wie in schweren Tagen“.
Wir heiraten mit dem Versprechen zu einander zu halten, komme, was wolle. Dabei wissen wir eigentlich gar nicht, worauf wir uns da einlassen. Wir wissen nicht, was die Zukunft für uns bereithält. Wir wissen auch nicht, wie wir auf etwas reagieren werden, bis wir es erleben.
Vielleicht wird dein Mann krank, vielleicht geht er fremd, vielleicht sammelt er einen gewaltigen Schuldenberg an und verheimlicht es dir – vielleicht machst du das auch alles. Trotzdem versprechen wir einander im Standesamt oder in der Kirche, dass das egal ist und nur der Tod uns scheiden kann. Nach dem ersten Ehejahr sind die ersten alltäglichen Herausforderungen auf euch zu gekommen und ihr habt es geschafft. Level 1, completed. Aber ihr habt noch viele Jahre vor euch – und plötzlich gewinnt ihr einen ganz neuen Respekt vor all den Paaren, die es schon zu Level 20, oder 30, oder 50 geschafft haben.