
Hallo Inga,
(…) mein Freund und ich führen seit einem knappen halben Jahr eine Fernbeziehung, die wir für mein Empfinden wirklich gut meistern.
Beruflich bedingt ist er oft unterwegs, weshalb er auch mal eine Woche am Stück bei mir sein kann. Aber nach ca. 3 Tagen lässt er mich seine eigene Unzufriedenheit sehr spüren (…)
Er betreibt sehr gerne intensiven Radsport, was sich aber oft nicht so gut mit der Arbeit vereinbaren lässt, weshalb er manchmal mehrere Tage am Stück keinen Sport machen kann. (…) Sein Fahrrad mit zu mir zu nehmen, ist ihm auch zu umständlich.
Gestern Abend telefonierten wir Iange. Alles war super und lustig und urplötzlich war seine Laune im Keller. Es ging mal wieder darum, dass er keinen Sport gemacht hat. Er hat sich nebenbei gewogen und dann war’s vorbei.
Es hieß dann nur noch: Er wäre zu dick (was absoluter Unsinn ist), er ärgert sich über sich selber, ist genervt von seiner Arbeit und den Arbeitszeiten, die es ihm eben erschweren mit dem Sport am Ball zu bleiben (…), er nascht zu viel, er geht zu spät schlafen, wenn er mal gut in Form ist, dann macht die Arbeit wieder alles kaputt, weil er dann wieder hierhin und dahin fahren muss. Dann gibt‘s noch mich, die er besuchen muss, wo er dann auch nicht zum Sport kommt usw. die Liste ist lang.
Er hat sich dann so da reingesteigert. Ich hatte nicht mal die Chance, etwas dazu zu sagen und plötzlich war er so genervt, dass er sagte: „Ich lege jetzt auf“, was er dann auch tat. Und ich blieb verdutzt, geknickt und traurig zurück (…)
Ich kann seinen Unmut wirklich nachvollziehen, weiß aber dennoch nicht, wie ich ihm helfen soll. Jedenfalls empfand ich das plötzliche Auflegen als ziemlich respektlos, zumal es ja keinen Streit gab. Aber gut, wahrscheinlich seine Art aus der Situation zu fliehen, um keine Sachen zu sagen, die er gar nicht so meint.
Ich will, dass er merkt, dass das nicht in Ordnung war. Ich möchte auch so nicht mit mir umgehen lassen. Aber wie reagiere ich jetzt am besten? Will jetzt auch nicht ewig bockig deswegen sein.
LG, Luisa
Liebe Luisa,
du hast recht, es war respektlos. Wenn dein Freund einfach auflegt, nimmt er dir jegliche Chance auf ihn zu reagieren. Er nimmt sich heraus, alles zu sagen, was er möchte, du darfst das aber nicht. Außerdem bestimmt er alleine, dass die Unterhaltung vorbei ist. Du hast kein Mitspracherecht.
Gleichzeitig lässt er dich hängen. Du musst deine Gefühle alleine verarbeiten. Das signalisiert dir, dass er sich nicht für das interessiert, was du zu sagen hättest. Du fühlst dich unbedeutend, alleine gelassen und machtlos.
Das ist natürlich keine schöne Situation und somit ist es eine gesunde Einstellung zu sagen, dass du so ein Verhalten nicht tolerieren willst, aber trotzdem nicht „ewig bockig“ sein möchtest.
Vermutlich hast du deshalb bereits instinktiv richtig reagiert. Meine Devise lautet immer: Negatives Verhalten wird nicht mit Aufmerksamkeit belohnt. Er will auflegen, lass ihn. Schritt 1 hast du also erfolgreich gemeistert. Wirklich spannend wird es dann aber bei Schritt 2: Warum hat er einfach aufgelegt?
Es war vermutlich nicht das erste Mal, dass er eine Diskussion abrupt beendet hat und es wird wohl auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Wie du weiter reagieren solltest (und das beenden kannst), hängt aber stark von dem Grund ab, aus dem er auflegt – und davon gibt es einige.
Lesetipp: 6 Dinge, die du tun kannst, wenn dein Partner seine schlechte Laune an dir auslässt
1. Er legt einfach auf, weil er frustriert ist
Es kann sein, dass du selbst daran schuld bist, dass er einfach auflegt. Wenn du das Gefühl hättest, eine Unterhaltung bringt nichts, weil du mit dieser Person einfach nicht weiterkommst, würdest du vermutlich auch auflegen. Der Grund wäre dann also, dass du ihm nicht richtig zuhörst.
Manchmal meinen wir es gut, erreichen aber das genaue Gegenteil. Es folgen ein paar Hinweise, dass du vielleicht nicht so eine gute Zuhörerin bist, wie du denkst.
- Wenn du glaubst, du wüsstest, was er sagen möchte, beendest du dann den Satz für ihn? Das ist eine Form von Unterbrechen. Du redest ihm dazwischen. Vermutlich willst du damit signalisieren, dass du ihn verstehst, aber eigentlich signalisierst du ihm bloß, dass er vorhersehbar ist und du ungeduldig bist.
- Noch ein Faktor, der nett gemeint (aber kacke) ist: exzessives Nicken. Nicken signalisiert dem Gegenüber, dass du ihn verstanden hast. Das ist gut. Oft passiert Nicken in solchen Momenten sogar unbewusst. Aber wenn du es mit dem Nicken übertreibst, weil du bewusst den Eindruck erwecken willst, dass du sehr engagiert der Unterhaltung folgst, wirkt es unnatürlich und signalisiert deinem Partner das genaue Gegenteil. Nämlich, dass du ihn nicht richtig für voll nimmst. Wir machen das manchmal auch, wenn uns Kinder Geschichten erzählen. Am Telefon sieht man das Nicken vielleicht nicht, aber wir Menschen spüren sowas trotzdem.
- Ein weiterer Hinweis, dass du vielleicht doch keine gute Zuhörerin bist: Wenn du die Unterhaltung zurück auf dich beziehst. Versuchst du immer, wenn dir jemand etwas erzählt, von einem ähnlichen Moment zu berichten, den du erlebt hast? Manchmal ist das hilfreich, weil es dem Gegenüber vermittelt, dass er mit seinem Problem nicht alleine ist. Vor allem dann, wenn dieser Mensch verzweifelt nach einer Lösung sucht. Nach einer Weile wirkt es jedoch Ich-bezogen und so als würdest du nur auf den Moment warten, wenn du das Gespräch wieder dominieren kannst. Wenn du es wirklich kaum erwarten kannst, bis du wieder an der Reihe bist zu sprechen, ist das übrigens der vielleicht größte Hinweis.
Das Problem kann aber auch einfach sein, dass er sich nicht verstanden fühlt. Du hörst, was er sagt, aber du verstehst es nicht. Manchmal passiert das, wenn wir „verstanden“ und „einverstanden“ verwechseln. Dann können wir den anderen einfach nicht mit seinen Ansichten stehen lassen und fragen immer wieder nach. Irgendwann ist er es dann leid, dieselbe Sache immer wieder zu erklären, und gegen deine Argumente anzukämpfen.
Es liegt an dir zu lernen, wie du Verständnis für deinen Freund aufbaust, auch wenn du mit seiner Haltung nicht einverstanden bist. Gib ihm das Gefühl, dass er gehört und verstanden wird, dann hört auch das frustrierte Auflegen auf.
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2. Er legt einfach auf, weil es sich gut anfühlt
In dem Moment, in dem er auflegt, kontrolliert er das Geschehen (und dich). Das ist tatsächlich ein Knackpunkt. Einerseits straft er dich damit, weil er dich handlungsunfähig zurücklässt. Selbst wenn du weiterreden würdest, es würde keiner mitbekommen. Andererseits ist es für ihn ein sehr befriedigendes Gefühl, wenn er sich die Kontrolle über eine Situation zurückholt. Es ist ein kleiner Machtgewinn.
Machtspiele in Beziehungen klingen erst einmal destruktiv, aber sie sind tatsächlich ein normaler Bestandteil jeder Beziehung. Sie helfen Beziehungen sogar, indem sie sie stärken und wachsen lassen. Aber nicht alle Machtspiele sind gleich. Es gibt konstruktive und destruktive Machtspiele.
Konstruktiv verläuft so ein Machtspiel, wenn man dabei definiert, wo die Grenzen in der Beziehung verlaufen. Man sieht, was dem Anderen wichtig ist und lernt das zu respektieren. Das stärkt die Bindung. Destruktiv verläuft es, wenn es um reine Kontrolle und Einfluss geht. Konstruktive Machtspiele sind deshalb in der Regel eine einmalige Sache. Das Problem wird geklärt und taucht danach nicht mehr auf. Bei Destruktiven wiederholt sich dasselbe Problem dagegen immer wieder und zerstört langsam aber sicher die Bindung.
Das klingt jetzt allerdings dramatischer als es ist. Er hat aufgelegt. Das ist nicht schön, aber auch kein Weltuntergang. Soll heißen: Destruktive Machtprozesse sind auf Dauer schädlich für die Beziehung, aber ab und an passieren sie auch in den besten Beziehungen. Es sind negative Kleinigkeiten.
Buchtipp: Wenn du lernen willst, wie du deine Macht in der Beziehung richtig nutzt, solltest du „Warum die nettesten Männer die schrecklichsten Frauen haben“ von Sherry Argov lesen (hier bei Amazon bestellen*). Sie beschreibt ziemlich gut, wann es sich lohnt auch mal zickig zu sein. Du kannst es auch auf Englisch bestellen, wenn du solche Bücher lieber im Original liest. Witziger ist es dann auf jeden Fall. Hier kannst du „Why men love Bitches“ direkt bei Amazon bestellen.*
Wir verstehen bereits in der Kindheit, dass wir eine gewisse Macht haben und unser Umfeld beeinflussen können. Das ist wichtig, weil wir so lernen, dass wir selbstwirksam sind und nicht einfach hilflos unserer Umgebung ausgeliefert. Wenn wir nun aber in der Kindheit nicht verstanden, unterstützt oder auch beschützt wurden, und uns stattdessen machtlos gefühlt haben, kann es passieren, dass wir als Erwachsene überkompensieren. Dann strafen wir unseren Partner, versuchen unser Umfeld zu kontrollieren und reagieren bei kleinen oder unabsichtlichen Respektlosigkeiten über.
Es kann sogar passieren, dass wir die eigene Tendenz zu überkompensieren ganz gut im Griff haben, bis die Belastungen in unserem Leben zunehmen. Vor allem dann, wenn wir keinen Einfluss auf diese Belastungen haben.
Ihr seid „seit einem knappen halben Jahr in einer Fernbeziehung“. Dein Freund „ist genervt von seiner Arbeit und den Arbeitszeiten“, er kommt sowieso schon „nicht zum Sport“ und dann besucht er dich „auch mal eine Woche am Stück“, wo er seiner Leidenschaft des Radsports gar nicht nachkommen kann, obwohl das für ihn vielleicht ein wertvoller Ausgleich ist.
Unterschätz auch nicht den stabilisierenden Effekt, den du auf deinen Freund hattest. Jetzt lebt ihr in einer Fernbeziehung, was bedeutet, dass du nicht mehr in der Form da bist, wie du es vorher warst. Auch das kann belastend sein. Wir unterschätzen oft, wie wichtig alltägliche Kleinigkeiten für das eigene Glück sind. Jemanden einfach mal spontan in den Arm nehmen kann der größte Segen sein. Je nachdem, wie weit er zu dir fahren muss, kann auch das Pendeln eine echte Belastung sein.
Was kannst du jetzt tun?
Leider nicht viel. Du hast keinen Einfluss darauf, ob er sich mächtig fühlt, oder glaubt, sein Leben nicht mehr im Griff zu haben. Du kannst seinen Stress auch nicht merklich reduzieren. Eigentlich kannst du nur Verständnis für seine Situation entwickeln und versuchen, ihm das Leben so angenehm wie möglich zu machen – zumindest im Rahmen deiner Möglichkeiten.
Unterschätz dabei nicht die Macht alltäglicher Kleinigkeiten. Dafür kannst du dich auch an diesem Artikel orientieren: 7 Kleinigkeiten, die deinen Mann glücklich machen
3. Er legt einfach auf, weil er überfordert ist
In der Natur heißt es, wenn Gefahr im Verzug ist: Kampf oder Flucht. Das gilt für Tier und Mensch gleichermaßen. Du könntest also durchaus recht haben mit der Vermutung, dass das Auflegen „seine Art aus der Situation zu fliehen“ ist.
Bei Frauen gibt es deutlich mehr Kontakte zwischen der rechten und der linken Hirnhälfte als bei Männern. Das führt dazu, dass wir nach (oder während) einem Streit ziemlich schnell wissen, wie es uns geht, während Männer, wenn man Dr. Walt Larimore glauben darf, 8 Stunden brauchen, bis sie ihre Gedanken sortiert haben.
Im Streit bedeutet das, dass Männer sich emotional schnell überfordert fühlen. Dann schießt ihr Puls in die Höhe und erschwert es ihnen noch weiter klar zu denken. Dr. John Gottman hat zudem herausgefunden, dass Männer sich nicht nur deutlich schneller emotional überfordert fühlen als Frauen, sie brauchen auch länger, um wieder herunterzukommen.
Du bist ihm im Streit also einfach überlegen.
Das Problem bei der Sache: Dr. Gottman hat auch herausgefunden, dass in dem Moment, wenn der Mann sich zurückzieht, der Puls der Frau in die Höhe schießt. Das bedeutet: Er zieht sich zurück, um wieder runterzukommen, aber sein Rückzug sorgt dafür, dass du dich wieder aufregst.
Es ist also ein Teufelskreis. Das, was dir im Streit hilft, nämlich der emotionale Austausch, überfordert ihn. Das Zurückziehen, das ihm im Streit hilft, überfordert wiederum dich.
Du hast ein Beziehungsproblem, das dich nachts nicht schlafen lässt? Dann schreib mir. Ich höre mir dein Problem gerne an und sage dir, wie du es lösen kannst. Schreibe dafür einfach eine Mail an hallo@fraginga.de
Was kannst du jetzt tun?
Lässt sich seine emotionale Überforderung vermeiden? Japp. Frauen hauen im Streit ein Argument nach dem nächsten raus und ihre armen Männer kommen nicht hinterher. Versuch etwas sanfter mit ihm umzugehen. Im Zweifel auch einfach, indem du das Tempo aus dem Streit herausnimmst. Wenn er gerade nichts sagt, denkt er nach. Lass ihm die nötige Zeit dafür. Dafür musst du auch mal Stille aushalten können.
Wenn es dann doch so weit kommt, dass er sich überfordert fühlt, ist der Drops erst einmal gelutscht. Nimm es nicht persönlich, versuch dich selbst zu beruhigen und dir seinen Rückzug nicht zu Herzen zu nehmen. Nach etwa 8 Stunden kannst du wieder gut mit ihm reden. Und mal ehrlich: Es gibt Schlimmeres, als einen Streit zu unterbrechen.
Hast du das Gefühl, du erreichst ihn gar nicht mehr? Ihr werdet immer respektloser miteinander? Du sehnst dich nach einer liebevolleren Beziehung, aber er kommt nur mit „weil du“-Attacken? Dann bist du bei mir genau richtig. In Rahmen meines 1:1 Coachings lernst du, wie du eure Beziehungsprobleme löst, auch ohne dass er bewusst mitmachen muss. Du kannst mich gleich hier kontaktieren.