
Stell dir Wut wie eine Skala von eins bis zehn vor. Eins ist Genervtsein, fünf ist Wut und zehn ist Hass. Alle drei Gefühle liegen relativ nah bei einander. Wenn du nur noch genervt von deinem Mann bist, ist das, was du tatsächlich fühlst, also eine Ausprägung von Wut.
Du wirst im Laufe eurer Beziehung vermutlich jede einzelne Stufe auf der Wut-Skala mal durchlaufen. Das ist vollkommen normal, überhaupt nicht schlimm und das Wichtigste: es geht vorbei.
In einem anderen Artikel habe ich schon über das Thema Hass gesprochen. Wenn du das Gefühl hast, dass du deinen Mann hasst, also auf der Wut-Skala ganz weit oben angekommen bist, solltest du auch diesen Artikel lesen:
Hilfe, ich hasse meinen Mann! Und jetzt?
In diesem Artikel hier beschäftigen wir uns mit Wut in einer schwachen Form: mit ständigem Genervtsein. Wut ist ein absolut lösbares Problem. Und wenn es noch nicht einmal richtige Wut ist, sondern einfaches Genervtsein, dann erst recht.
Sorry, aber es liegt nicht an ihm
Um deine Wut in den Griff zu bekommen, musst du erst einmal verstehen, wie sie entsteht.
Entgegen langläufiger Meinungen entsteht Wut nicht dadurch, dass jemand anderes etwas tut oder sagt. Externe Einflüsse haben eigentlich nichts mit deiner eigenen Wut zutun.
Du glaubst, du bist nur noch genervt von deinem Mann, weil er immer etwas sagt oder macht. Das führt zu zwei falschen Rückschlüssen:
- Du glaubst, das Verhalten deines Mannes ist das Problem. Also muss er sich ändern.
- Du fühlst dich im Recht und denkst deswegen, du müsstest nichts ändern.
Beide Glaubenssätze können fatal für euer Beziehungsglück sein.
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Wie entsteht Wut wirklich?
Unser Gehirn hat eine einzige Hauptfunktion: Es soll uns am Leben halten. Dafür muss es zum einen unsere Bedürfnisse befriedigen, zum Beispiel nach Nahrung, und zum anderen muss es Gefahren abwenden. Was hat das jetzt mit Wut zu tun? Wut ist dazu da, uns vor Gefahren zu schützen. Wut motiviert uns zur Handlung und diese Handlung kann uns schützen. Außerdem bewahrt Wut uns vor traurigen Gefühlen, aber dazu später mehr.
Erstmal reagiert das Gehirn dann mit Wut, wenn es eine Gefahr erkennt – ob sie nun real oder eingebildet ist. Wenn dein Mann mal wieder vergessen hat, den Müll rauszubringen, hat er sich vermutlich nichts Böses dabei gedacht. Dein Gehirn kann daraufhin aber beschließen, dass es eine reale Gefahr gibt. Dein Gehirn denkt eher so: Dein Mann hat den Müll nicht rausgebracht, obwohl er gesagt hat, dass er es tun würde. Also hat er sein Wort nicht gehalten. Das bedeutet, dass du dich nicht auf ihn verlassen kannst. Folglich bist du bei ihm nicht sicher. Denn ein unzuverlässiger Mann kann nicht für dich und deine Kinder sorgen. Also bist du in Gefahr.
Vollkommen absurd, ich weiß, aber so funktioniert unser Gehirn. Das Gehirn reagiert auf Angst. Angst bedeutet Gefahr. Gefahr muss abgewendet werden und Wut hilft dabei. Wut lässt deinen Blutdruck hochschießen und deinen Körper Adrenalin ausschütten. Dein Gehirn gibt dir also Wut, damit du die Kraft für den Kampf oder die Flucht hast. Ob das eine reale Gefahrensituation ist, oder einfach bloß ein Streit mit deinem Mann, ist deinem Gehirn erst einmal egal.
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Aber was, wenn dein Mann dich wirklich wütend macht?
Es kann natürlich sein, dass dein Mann Dinge macht, die problematisch sind. Vielleicht provoziert er dich sogar bewusst. Vielleicht würde jeder in deiner Situation wütend werden. Dennoch: Was dein Mann macht und was du fühlst sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Das eine ist ein Ereignis (was er macht) und das andere deine Gefühle (was du darüber denkst). Deine Gefühle kannst du steuern. Du hast in der Hand, ob du wütend wirst oder nicht. Weil du kontrollieren kannst, was du denkst.
Überleg mal: Es kann sehr gut sein, dass eine andere Frau in deiner Situation vollkommen entspannt wäre.
Nehmen wir an, dein Mann trifft sich mit seiner Ex, um einen Kaffee zu trinken. Für dich ist die Situation vielleicht hochgradig bedrohlich, also reagierst du mit Wut. Für eine andere Frau ist dieselbe Situation aber der Normalfall. Sie denkt sich überhaupt nichts dabei und ist vielleicht sogar selbst mit ihrem Ex befreundet.
Andersrum gibt es bestimmt auch Situationen in deinem Leben, über die du dir gar keine Gedanken machst, die aber für eine andere Frau ein Weltuntergang wären. Ein und dasselbe Ereignis kann bei einer Person Wut auslösen und bei einer anderen gar keine Emotion, weil sie sich nichts dabei denkt.
Deine vergangenen Erlebnisse, deine Erziehung, deine Gene und deine Persönlichkeit beeinflussen, wann du Wut empfindest und wann nicht. Dein Mann macht dich also nicht wütend, du machst dich wütend. Oder eher gesagt: Dein Gehirn macht dich wütend, weil es aufgrund deiner Erfahrungen, deiner Persönlichkeit und deiner Umstände beschlossen hat, dass du in Gefahr bist.
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Wut ist etwas Gutes
Wut ist also eigentlich sehr nützlich und gar nichts Schlimmes. Sie schützt uns vor Gefahren. Sie motiviert uns, schlechte Umstände zu verbessern. Sie kann aber auch destruktiv werden.
Jeder Mensch wird mal wütend, aber wenn wir schwierige Voraussetzungen haben, kann es passieren, dass wir häufiger und schneller Wut empfinden als andere. Manchmal kann das dazu führen, dass wir unverhältnismäßig auf Lappalien reagieren. Dann kontrollieren nicht wir die Wut, sondern die Wut kontrolliert uns.
Wenn du nur noch genervt von deinem Mann bist, kann es also sein, dass du unverhältnismäßig oft wütend wirst und dass dies rein gar nichts mit ihm zu tun hat.
Wie du es schaffst nicht ständig wütend auf deinen Mann zu sein
Der erste Schritt zur Besserung ist bekanntlich Erkenntnis. Du musst also erst einmal merken, dass du übermäßig häufig wütend wirst. An diesem Punkt scheinst du bereits angekommen zu sein. Das ist super! Im nächsten Schritt geht es darum festzustellen, wann du wütend wirst.
Wut ist eine sekundäre Emotion. Das heißt: Du hattest erst eine andere Emotion, die dein Gehirn dann mit Wut ersetzt hat. Du warst zum Beispiel erst traurig und dann hat dein Gehirn die Traurigkeit mit Wut ersetzt. Oder du hattest erst Angst und dann hat dein Gehirn die Angst mit Wut ersetzt.
Der Grund dafür ist ganz einfach: Angst und Trauer machen uns verletzlich. Dein Gehirn will dich nicht verletzlich sehen, denn dann bist du vermeintlich in Gefahr. Wenn wir wütend sind, sind wir abgelenkt vom Schmerz und gleichzeitig auch bereit die Situation zu ändern. Dein Gehirn denkt also, es tut das Richtige.
Da es sich aber nicht immer um echte Gefahren handelt, richtet Wut manchmal mehr Schaden an, als das sie nutzt. Das Gehirn schießt quasi mit Kanonen auf Spatzen.
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Diese Reaktionskette von Angst zu Wut oder von Trauer zu Wut passiert blitzschnell. Für Ungeübte kann es deshalb wirklich schwierig sein, ihre echten Gefühle herauszufiltern.
Du denkst vielleicht, dass du rasend vor Wut bist, weil dein Mann mal wieder X oder Y getan hat, es kann aber gut sein, dass du eigentlich Angst hast, ohne es zu wissen. Statt deiner Wut nachzugeben und einen Streit anzufangen, tue erst einmal nichts. Halte deine Wut aus und frag dich selbst, was du wirklich fühlst.
Es wird nicht immer sofort eine Antwort kommen. Manchmal musst du vielleicht eine Nacht darüber schlafen. Mach das. Reagiere nicht auf die Wut, sondern frag dich immer wieder: „Was fühle ich wirklich?“. Das hat übrigens nichts damit zu tun, dass du deine Emotionen unterdrückst. Ganz im Gegenteil: Du fühlst sie vermutlich zum ersten Mal so richtig.
Aber Achtung! Frag dich nicht: „Warum bin ich wütend/genervt?“. Deine Wut wird für dich immer berechtigt sein, weil dein Gehirn immer eine Bedrohung finden wird, über die es wütend sein kann. Frag dich lieber: „Was habe ich gefühlt, bevor ich wütend wurde/genervt war?“, „Was war meine allererste Reaktion auf das Ereignis?“.
Es geht darum, einen anderen Umgang mit deiner Wut zu lernen. Dafür musst du erst einmal herausfinden, was hinter deiner Wut steckt. Nur so schaffst du es, auch nachhaltig nicht ständig genervt zu sein. Sonst machst du immer nur Symptom-Bekämpfung. Langfristig hilft dir aber nur die Ursachen-Bekämpfung.
Wut, die sekundäre Emotion, bekämpft Symptome. Die Ursache liegt in der primären Emotion, wie Traurigkeit oder Angst.
Du bist vielleicht gar nicht ständig genervt. Insgeheim bist du vielleicht einfach traurig, weil du denkst, dass dein Mann nicht an dich denkt. Oder du fürchtest, dass er dich nicht respektiert. Die Gründe sind vielfältig, aber wenn du deine persönliche Wurzel allen Übels entdeckt hast, kannst du mit ihm darüber reden.
Hol deinen Mann ins Boot
Dein Mann wird vermutlich aus allen Wolken fallen und deine Gefühle nicht nachvollziehen können. Das ist okay. Du hast selbst erst verstanden, was du wirklich fühlst. Aber wenn er erst einmal weiß, wie er diese Gefühle in dir auslöst, wird er versuchen das zu vermeiden. Er wird also sein Verhalten anpassen – und dann kannst du seltener wütend sein.
Er wird das aber nicht machen, weil du genervt bist. Er wird das nur dann machen, wenn er versteht, dass du insgeheim traurig oder verunsichert bist. Das ist das, was ihn motiviert. Deine Verletzlichkeit schafft Verbindung, nicht deine Wut. In dem Moment, in dem du deine Schwäche offenbarst, also ihm von deiner Angst erzählst, kann er Verständnis und Mitgefühl aufbauen, weil es dann nicht mehr darum geht, dass er sich gegen dich verteidigen muss.
Ihr steht jetzt auf derselben Seite und kämpft gemeinsam gegen die Angst oder Traurigkeit und letztlich damit auch dagegen, dass du ständig genervt von ihm bist. Außerdem wird er dich vermutlich zum ersten Mal wirklich verstehen und das kann nur gut für eure Beziehung sein.
Wenn ihr dabei Unterstützung in Form einer Paartherapie braucht, kannst du mich gleich hier kontaktieren und einen Termin zum Erstgespräch vereinbaren. Alternativ kannst du mir auch eine Email an hallo@fraginga.de schreiben.