Liebe Inga,
ich (…) bin auf der Suche nach Tipps, da ich zurzeit ständig Angst habe, die Gefühle für meinen Freund zu verlieren. (…) Ich bin seit ca. einem halben Jahr mit meinem Freund zusammen. Es war (ist es eigentlich auch immer noch) wirklich perfekt. Das Problem ist nur, ich bin aufgrund der Pille danach in eine, ich würde mal sagen, extrem depressive Phase gerutscht. Wirklich von einer Sekunde auf die andere waren alle meine Gefühle verschwunden, nicht nur für ihn. Da war nur noch Leere. Da ich davor allerdings in der „Verliebtheitsphase“ war, bekam ich richtig schlimme Angstzustände und Panikattacken. Ich konnte nicht aufhören, nachzudenken, wo meine ganzen Gefühle hin waren.
Inzwischen geht es mir wieder besser, aber ich komme aus dem Gedankenkarussell nicht heraus. Ich frage mich ständig, ob ich ihn liebe oder nicht. Manchmal fühlt es sich wirklich an, als ob ich einen Stein im Herzen habe (…)
Ich denke, dass ich aus der Verliebtheitsphase raus bin und weiß auch, dass es normal ist, nach einer gewissen Zeit nicht mehr die Aufregung wie am Anfang zu fühlen. Leider hört es nicht auf. Egal, was ich mache. Ich hinterfrage durchgehend meine Gefühle.
Ich bin mir sicher, es liegt nicht an ihm. Für mich ist er einfach perfekt, so wie er ist. Ich habe einfach diese Angst und weiß nicht, wie ich das hinbekomme. Würde aber alles dafür tun. Ich möchte wirklich daran arbeiten.
Das Problem, das du beschreibst, höre ich sehr oft. Die Situation ist meistens ganz ähnlich zu deiner. Eine relativ frische Beziehung von einem halben oder auch einem Jahr, ein nahezu perfekter Partner. Alles ist gut – bis der Kopf alles kaputt macht. Meistens geschieht irgendein (kleiner) Trigger und plötzlich gibt es keine Schmetterlinge mehr, sondern Panik und quälende Gedanken.
- Liebe ich ihn wirklich oder doch nicht?
- Ich habe das Gefühl, meine Gefühle sind nicht mehr so stark wie zuvor.
- Sind wir wirklich richtig füreinander?
- Wie kann ich mir sicher sein, dass ich ihn wirklich liebe?
- Was, wenn es eine noch größere Liebe gibt?
- Was, wenn ich ihm am Ende weh tue, weil meine Gefühle doch weggehen?
- Liegen meine Zweifel an meiner Beziehung oder an meinem Partner?
Ich könnte diese Liste noch ewig verlängern. Das ist aber gar nicht nötig. Du ratterst sie in deinem Kopf vermutlich sowieso rauf und runter. Wahrscheinlich hast du dich mit diesen Fragen bereits sehr intensiv beschäftigt, aber lösen konntest du deine Zweifel damit nicht – und so grübelst du noch heute.
Dieser emotionale Leidensdruck muss enden, sonst wirst du deine Beziehung früher oder später beenden – egal, wie perfekt dein Partner ist. Du wirst das ständige Zweifeln und die damit verbundene Anspannung auf Dauer nicht aushalten.
Du schreibst, dass du aus der “Verliebtheitsphase” raus bist und es normal sei, keine Aufregung mehr zu spüren. Das stimmt natürlich, aber das bedeutet nicht, dass es normal ist, danach mit obsessiven Zweifeln zu leben. Ich vermute, der Übergang aus der Verliebtheitsphase könnte hier ein größeres Problem getriggert haben.
Du schreibst aber schon, dass du “alles dafür tun” würdest, damit es besser wird, und “wirklich daran arbeiten” möchtest, also nehme ich dich beim Wort. Legen wir los.
Du hast ein Beziehungsproblem, das dich nachts nicht schlafen lässt? Dann schreib mir. Ich höre mir dein Problem gerne an und sage dir, wie du es lösen kannst. Schreibe dafür einfach eine Mail an hallo@fraginga.de
Zwangsgedanken in Beziehungen
Schon mal von OCD gehört? Das ist Englisch für Obsessive-Compulsive-Disorder, zu Deutsch Zwangsstörung. Laut Statista liegen Zwangsstörungen auf Platz 4 der häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Dabei gibt es eine Unterkategorie: Relationship-OCD. Hierbei geht es also um Zwangsgedanken in Beziehungen.
Betroffene leben mit aufdringlichen, wiederkehrenden und quälenden Gedanken über ihre Beziehung. Sie sind von diesen Gedanken extrem eingenommen. Sie fragen sich also ständig, ob sie in der richtigen Beziehung sind, oder ob sie ihren Partner wirklich lieben. Dann kommen sie in ein zwanghaftes Grübeln, das die Zweifel aber nicht auflöst. Der Leidensdruck steigt und die Betroffenen verzweifeln.
Bei Zwangsgedanken in Beziehungen gibt es einen beziehungszentrierten Typ und einen partnerzentrierten Typ.
Beziehungszentrierte Zwangsgedanken
Beim beziehungszentrierten Typ beschäftigen dich Gedanken, die sich um die Beziehung oder dich selbst drehen:
- Die Frage nach der “richtigen” oder “wahren” Liebe
- Befürchtungen, du könntest die Gefühle (wieder) verlieren
- Angst davor, in der Zukunft einen anderen Mann zu bevorzugen
Kurzum: Du nimmst deine eigenen Gedanken als Hinweis darauf, dass mit deiner Beziehung etwas nicht stimmen könnte.
Partnerzentrierte Zwangsgedanken
Beim partnerzentrierten Typ drehen sich deine Gedanken um deinen Partner. Du hast also Angst, dass er das Problem ist:
- Angst davor, der Partner könne doch nicht zu dir passen (unternimmt zu viel/zu wenig, nicht attraktiv/witzig/ruhig/sozial genug etc.)
- Vergleiche zwischen dem Partner und anderen Männern oder Ex-Partnern
Sowohl beim partner- als auch beim beziehungszentrierten Typ geht es immer wieder um Ängste. Einerseits die Angst, den Partner zu verletzen, weil du ihm nicht garantieren kannst, dass du ihn nie verlassen wirst und andererseits die Angst, dass deine Zweifel bedeuten, dass du in der falschen Beziehung bist.
Lies auch: Bindungsangst oder keine Gefühle: Was steckt hinter deinem Sinneswandel?
Was bei Zwangsgedanken in Beziehungen NICHT hilft: Grübeln
Nehmen wir an, du hättest wirklich Zwangsgedanken (keine Ahnung, ob es so ist. Sag du es mir. Du kennst dich selbst am besten). Ein großes Problem bei solchen Gedanken ist, dass du dich mit unlösbaren Fragen beschäftigst.
- Was, wenn ich ihn nicht wirklich liebe oder nicht genug liebe?
- Was, wenn ich jemand anderen mehr lieben könnte?
- Was, wenn wir doch nicht zusammen passen?
- Was, wenn ich meine Gefühle verliere?
Das Problem mit „Was wäre, wenn”-Fragen ist, dass sie dich in der Grübelschleife halten. Du kannst sie nicht mit Gewissheit beantworten. Dafür bräuchtest du eine Glaskugel. Deshalb bist du auch nie zufrieden mit den Antworten, die dein Kopf findet. Egal, wie lange und wie oft du grübelst, du wirst nie eine Lösung finden, weil du nicht in die Zukunft sehen kannst.
Im Englischen gibt es einen treffenderen Ausdruck: Rumination. Rumination bedeutet nämlich nicht nur Grübeln, sondern auch Wiederkauen. Es geht also darum, dass negative Gedanken immer wieder hochkommen und wir sie “wiederkäuen”. Nur dass wir im Gegensatz zu Kühen daraus keinen Mehrwert für uns ziehen.
Ganz im Gegenteil: Das Grübeln löst oft erst das Leiden aus, oder verstärkt es massiv. Bei Zwangsgedanken in Beziehungen kommt es auch zu einer Art Grübelzwang. Deine Zweifel kommen hoch und du hast das Gefühl, du musst ihnen nachgehen. Dann denkst du darüber nach (du grübelst also), aber es hilft nicht. Deine Zweifel kommen wieder und werden stärker, also grübelst du noch mehr. Lass dich nicht täuschen: Das ist eine Abwärtsspirale. Grübeln hilft nicht und es kann auch Angst und Panik auslösen.
Weitere Fehler, die Zwangsgedanken verschlimmern können
Das Grübeln ist im Übrigen eigentlich eine Bewältigungsstrategie. Dein Körper (oder eher gesagt dein Verstand) versucht durch das Grübeln dein Problem zu lösen. Die Bewältigungsstrategie funktioniert nur nicht.
Weitere solcher Bewältigungsstrategien können sein:
- Du versuchst dich rückzuversichern, dass die Beziehung noch in Ordnung ist zB. bei deinem Partner
- Du beobachtest deine eigenen Handlungen, um dich zu vergewissern, dass du deinen Partner noch genug liebst
- Du besprichst mit anderen immer wieder, wie sich Liebe anfühlen und wie sie aussehen sollte
- Du sprichst mit deinem Partner oder anderen immer wieder über deine Zweifel
- Du redest dir selbst beruhigend zu
- Du hinterfragst ständig, ob du dich von deinem Partner noch angezogen fühlst (oder von anderen)
- Du versuchst die Gefühle vom Anfang der Beziehung wiederherzustellen
- Du vergleichst deine Beziehung oder deinen Partner (mit Bekannten, Ex-Partnern, oder auch Filmen und Büchern)
- Du hinterfragst ständig Kleinigkeiten aus deinem Beziehungsalltag auf ihre Bedeutung
- Du grübelst über die Bedeutung deiner Gedanken und beobachtest deine Gedanken akribisch
- Du lenkst dich ab
- Du vermeidest alles, was deine Zweifel triggern könnte (Liebesfilme, das andere Geschlecht, befreundete Paare, Sex, manchmal sogar Beziehungen komplett)
Du ahnst es bereits: Nichts davon wird dein Problem lösen. Meistens wird es dadurch auf Dauer sogar schlimmer.
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Was löst Zwangsgedanken aus?
Es gibt bestimmte Trigger, die Zwangsgedanken in Beziehungen auslösen können. Wohlgemerkt: Ich sagte “auslösen”, nicht “verursachen”.
Solche Auslöser müssen keine großen Sachen sein. Wenn du insgeheim ein Problem mit Zwangsgedanken in Beziehungen hast, bist du hypersensibel für kleinste Gefühlsveränderungen.
Der Übergang aus der Verliebtheitsphase kann dich deshalb easy in ein Gedankenkarussel werfen. Dieser Übergang ist nämlich alles andere als sanft und kann auch Menschen ohne Zwangsgedanken ins Zweifeln werfen. In der anfänglichen Verliebtheit werden wir mit Glückshormonen geflutet. Sobald das aufhört, ändern sich zwangsläufig auch die Gefühle. Die berühmten Schmetterlinge gehen weg. Wenn du insgeheim Angst davor hast, deine Gefühle für deinen Partner zu verlieren, triggert dich so ein Gefühlswandel massiv. Dein Körper gibt dir ein Signal, dass die Verliebtheit geht. Logisch, dass das Zweifel in dir auslöst. Du spürst ja, dass deine Gefühle sich verändert haben.
Weitere Trigger können sein:
- Gespräche über die Zukunft der Beziehung
- Vorübergehende Gefühle von Wut für den Partner
- Vorübergehende Gefühle von Gleichgültigkeit für den Partner
- Gedanken an eine vergangene Beziehung kommen hoch
- Liebeskomödien
- Positive Gefühle für jemand anderen als deinen Partner
- Jemand in deinem Umfeld heiratet oder verlobt sich
- Ein Nachlassen der Libido
- uvm.
Lies auch: Er ist der perfekte Mann, aber du liebst ihn trotzdem nicht? DAS ist der wahre Grund dafür
Woher weiß ich, ob es Zwangsgedanken sind, oder ob ich wirklich die Gefühle für meinen Partner verliere?
Das ist eine sehr gute Frage, die recht einfach zu beantworten ist. Zwangsgedanken funktionieren nach einem bestimmten Schema:
- Du hast aufdringliche Gedanken oder Bilder im Kopf
- Diese empfindest du als quälend oder bedrohlich
- Also wendest du eine Bewältigungsstrategie an, die dem bedrohlichen/quälenden Ereignis vorbeugen soll (zB. Grübeln)
- Die Strategie hilft nicht
- Alle Versuche, die Gedanken und die Bewältigungsstrategie zu unterdrücken, bleiben erfolglos
- Du durchlebst dieses Schema wieder und wieder
Wenn du dieses Schema immer wieder durchleben musst, hast du vielleicht ein Problem, das nichts mit deinem Partner oder deiner Beziehung zu tun hat.
Falls du dir unsicher bist, habe ich eine Entscheidungshilfe für dich entwickelt. Darin führe ich dich Schritt für Schritt durch den Entscheidungsprozess, bei dem du herausfindest, ob er und diese Beziehung wirklich richtig für dich ist. Du lernst, wie du dir selbst Fragen beantwortest wie: Liegt es an mir? Ist er das Problem? Würde ich eine Trennung bereuen? Kann er sich ändern? uvm. Hier findest du alle Informationen dazu: Trennen oder bleiben? Die ultimative Entscheidungshilfe
Was du gegen Zwangsgedanken in deiner Beziehung tun kannst
Bad News: Alles, was du aus eigener Kraft tun kannst, hast du bereits getan – und es hat nicht funktioniert. Wenn du wirklich Zwangsgedanken hast, sind diese Teil einer psychischen Erkrankung. So etwas überwindest du nicht mit bloßer Willenskraft.
Das ist auch überhaupt nicht schlimm. Jeder Mensch wird mal krank. Für mich ist eine psychische Krankheit genau wie eine körperliche Krankheit. Man muss sie einfach therapieren lassen. Hättest du eine bakterielle Infektion, würdest du vermutlich erst versuchen, dich selbst zu behandeln, aber falls es nicht besser wird, würdest du zum Arzt gehen und dir ein Antibiotikum verschreiben lassen. Ich sehe keinen Grund, warum man an psychische Erkrankungen nicht genauso pragmatisch herangehen sollte.
Eine Psychotherapie kann dein Problem lösen. Manchmal entstehen Zwangsgedanken aber nicht aus psychosozialen Gründen, sondern aus organischen. Dann kann man Zwangsgedanken auch medikamentös behandeln. In jedem Fall gibt es eine Lösung.
Manchmal gibt es zusätzlich zu den Zwangsgedanken deinerseits auch ein Problem in der Beziehung. Ich sage gerne: Egal, wie dünn du den Teig ausrollst, er hat zwei Seiten. Damit meine ich, dass es wirklich unwahrscheinlich ist, dass dein Partner “perfekt” ist, während alle Probleme bei dir liegen. In der Regel finden sich zwei Partner, deren Probleme sich gegenseitig bedingen.
Dann ist eine Paarberatung zusätzlich zur Psychotherapie sinnvoll. Allerdings solltest du in so einem Fall das Okay von deiner Psychotherapeutin einholen. Eine Paarberatung kann nämlich ganz schön belastend sein. Diese Belastbarkeit ist manchmal nicht gegeben, während du eine Psychotherapie machst. Das ist vollkommen normal und bedeutet nur, dass du dich erst einmal um dich selbst kümmern musst. Wie im Flugzeug – erst ziehst du dir die Atemmaske an und dann kannst du anderen helfen.
Falls du dich entscheidest, dass eine Paarberatung für euch das Richtige ist. Kannst du mich gleich hier kontaktieren und ein Erstgespräch vereinbaren.