Hallo Inga,
(…) Mein Mann und ich sind seit fünf Jahren zusammen und seit einem Jahr verheiratet. Haben ein Kind (1,5 Jahre) und das zweite ist auf dem Weg. Ein Haus haben wir auch vor zwei Jahren gekauft.
Mein Mann ist ein guter Vater und auch Hausmann, aber als Ehemann versagt er vollkommen. (…) Er beschützt uns als Familie überhaupt nicht. Eher hat er Angst vor Konfrontationen. Also muss ich das entweder regeln, oder das war‘s.
Beispiele:
– Arbeitskollege greift eindeutig an meine Brust und er lacht und schaut nur zu
– Sein Vater (wohnt vorübergehend bei uns) macht Dinge in unserem Haus, die mir nicht gefallen, und er macht seinen Mund nicht auf, obwohl ich ihn darum bitte
– unsere Chefin wollte mich rausschmeißen, weil ich schwanger war und hat mich zur Sau gemacht. Er stand nur da und hat keinen Mucks von sich gegeben
(…) Es gibt noch 100 Sachen, die ich sagen könnte, aber dann wäre ich bis morgen noch am Schreiben. Was soll ich denn machen? Das Haus verkaufen und mich trennen?
Geredet habe ich schon so oft mit ihm, aber er meint, er könne daran auch nix ändern. Es wäre seine Persönlichkeit.
In einer idealen Welt würde jeder Mann erkennen, dass jeder, der seine Frau respektlos behandelt, damit auch ihn respektlos behandelt. Aber leider leben wir nicht in einer idealen Welt. Deshalb bist du bei weitem nicht die einzige Frau, die das Gefühl hat, ihr Mann beschützt sie nicht.
Immerhin scheint dein Mann schon zu erkennen, dass er dich nicht beschützt. Er glaubt zwar noch, dass er daran nichts ändern könne, aber das sind dennoch gute Nachrichten. Vielen Männern fehlt in so einer Situation die Fähigkeit zur Einsicht. Dein Mann hat sie, das ist gut. Nur wer ein Problem erkennt, kann es lösen.
Es gibt außerdem noch weitere gute Nachrichten: Der Beschützerinstinkt ist angeboren. Nicht nur bei Männern übrigens. Inzwischen weiß man, dass Mütter ihre Babys vorzugsweise auf dem linken Arm tragen. Fragt man sie warum, sagen Rechtshänderinnen, dass sie so die rechte Hand freihaben. Fragt man Linkshänderinnen, antworten sie, dass sie ihr Baby mit dem dominanten Arm besser halten können. Alle Frauen denken also, es gäbe eine pragmatische Erklärung dafür, warum sie ihr Baby links halten. Forscher vertreten jedoch die Theorie, dass das Gehirn und der Beschützerinstinkt den Grund für dieses Verhalten liefern. Machen wir etwas mit links wird dabei die rechte Hirnhälfte aktiviert. Diese ist verantwortlich für das Wahrnehmen sozialer Signale. Die Mutter kann so folglich schneller Gefahren für das Baby erkennen und reagieren. Alles vollkommen unbewusst, versteht sich. Instinkt eben.
Du musst seinen Beschützerinstinkt also nicht wecken. Zum Luftholen muss man ja auch niemanden schicken. Die Frage ist eher, was seinen Beschützerinstinkt unterdrückt.
Lass uns zuerst versuchen zu verstehen, warum dein Mann dich nicht beschützt. Es gibt 6 Ursachen, die meistens dahinterstecken, wenn dein Mann dich nicht beschützt. Ich habe sie aufsteigend von einfach zu komplex sortiert.
Da wir das Verhalten anderer Menschen nicht beeinflussen können, aber das Problem trotzdem lösen wollen, gehen wir im zweiten Schritt darauf ein, was du tun kannst, wenn dein Mann dich nicht beschützt.
Du hast ein Beziehungsproblem, das dich nachts nicht schlafen lässt? Dann schreib mir. Ich höre mir dein Problem gerne an und sage dir, wie du es lösen kannst. Schreibe dafür einfach eine Mail an hallo@fraginga.de
„Mein Mann beschützt mich nicht“
1# Blockade: Mein Mann beschützt mich nicht, weil er die Situation anders einschätzt
Fairerweise muss man sagen: Es gibt viele Möglichkeiten für deinen Mann eine Situation so zu handhaben, dass es dir missfällt. Das liegt nicht an dir persönlich, sondern einfach daran, dass ihr zwei unterschiedliche Menschen seid, die die Dinge unterschiedlich wahrnehmen und handhaben.
Respektloses oder gar bedrohliches Verhalten sieht für jeden anders aus. Entsprechend empfindet auch jeder Mensch anders, wann er Schutz braucht und wann nicht. Es gibt Frauen, die es als bevormundend erleben, wenn ihr Partner sie beschützen will. Es kann also durchaus sein, dass dein Mann einfach nicht erkennt, wann du dich schutzlos fühlst. Er schätzt die Lage anders ein.
Das ist die simpelste Erklärung, die sich am einfachsten beheben lässt. Ob diese Erklärung auf deinen Mann zutrifft, kannst du easy herausfinden: Rede mit ihm. Wenn es wirklich nur das ist, wird er sein Verhalten direkt anpassen und in Zukunft in solchen Situationen anders reagieren.
Da du aber schreibst, dass du schon „so oft“ mit ihm geredet hast, wird es in deinem Fall wahrscheinlich nicht bloß ein Problem in der Kommunikation sein, sondern eine komplexere Erklärung geben.
Lies auch: „Er behandelt mich respektlos“ – 4 Gegenmaßnahmen
2# Blockade: Mein Mann beschützt mich, aber ich merke es nicht
Auch sich beschützt zu fühlen bedeutet für jeden etwas anderes. Es gibt vielleicht sogar eine ganze Reihe Situationen, in denen dein Mann dich auf seine Weise beschützt, aber es kommt nicht bei dir an. Ein paar einfache Beispiele:
- Dein Mann achtet darauf, dass du regelmäßig zum Arzt gehst. Wer sagt denn, dass dein Partner dich nicht manchmal auch vor dir selbst schützen kann? Ihm ist deine Gesundheit wichtig. Das ist körperlicher Schutz, auch wenn er eine subtile Form annimmt.
- Er hält den Mund, wenn nötig. Das bedeutet, dass er manchmal einfach nichts sagt, obwohl du dich unfair verhältst. Oder er sagt eine kleine Notlüge, weil ihm der Schutz deiner Gefühle wichtig ist. In 99% der Fälle bemerkst du sowas gar nicht.
- Er kümmert sich um dein Auto. Sei es, in dem er fragt, ob du bei der Inspektion warst, oder in dem er es selbst repariert. Statistisch gesehen ist Autofahren vermutlich das Gefährlichste, was du tust. Er will also sichergehen, dass dabei nichts schiefgeht.
- Er spielt deinen Chauffeur. Ihm ist Tausend Mal lieber dich irgendwo abzuholen, als zuzulassen, dass du nachts alleine nach Hause läufst. Das ist ebenfalls eine Form von Beschützen.
- Er installiert Alarmanlagen, oder besorgt vielleicht sogar Pfefferspray. Vielleicht setzt er sich dafür ein, dass du einen Selbstverteidigungskurs machst. Er versteht, dass er nicht immer da sein kann und möchte deshalb, dass du dich auch selbst schützen kannst.
Abseits solcher subtilen Ausprägungen des Beschützerinstinkts gibt es aber natürlich auch Beschützen, das du als solches wahrnehmen würdest, aber es passiert hinter deinem Rücken.
Wenn du nicht mitkriegst, wie dein Mann dich beschützt, ist es trotzdem passiert
Wir Menschen sind so gestrickt, dass wir uns selbst immer am meisten vertrauen. Deshalb glaubst du das, was du siehst und hörst. Was du nicht siehst und nicht hörst, berücksichtigst du nicht. Das bedeutet im Klartext: Wenn du nicht siehst und nicht hörst, wie er dich beschützt, glaubst du, dass er es nicht tut. Dabei weißt du gar nicht, was dein Mann alles sagt oder macht. Das kannst du gar nicht, sofern ihr nicht an der Hüfte zusammengewachsen seid.
Als mein Mann und ich noch nicht verheiratet waren, gab es einen Vorfall bei seinen Eltern. Ich habe beim Verlassen des Wohnzimmers die Tür hinter mir zugeknallt. Direkt nebenan hat die Schwester meines Mannes geschlafen. Daraufhin hat sich meine Schwiegermutter mit Schnappatmung empört. Nur war das alles ein Versehen. Es gab kein Drama. Ich wollte bloß ins Bad und oben war ein Fenster geöffnet. Durch den Luftzug ist die Tür von alleine zugefallen – mit einem lauten Knall. Ich habe mich selbst ein bisschen erschrocken.
Als ich gerade wieder ins Wohnzimmer gehen wollte, um das Ganze aufzuklären, habe ich gehört, wie mein Mann mir zuvorgekommen ist. Noch bevor seine Mutter etwas sagen konnte, hat er bereits gekontert, dass es offensichtlich keine Absicht war. Wahrscheinlich gab es über die Jahre viele solcher Missverständnisse, die mein Mann für mich aufgeklärt hat.
Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass auch dein Mann dich schon beschützt hat, ohne dass du es mitbekommen hast. Er erzählt es dir bloß nicht, weil er dann auch erklären müsste, wovor er dich beschützt hat. Nehmen wir an, sein Vater hätte etwas Negatives über dich gesagt. Warum sollte dein Mann deine Gefühle verletzen und dir davon erzählen? Das würde niemandem helfen. Also erzählt er dir nichts davon.
Du wirst wahrscheinlich öfter beschützt, als du denkst.
Lies auch: Grenzen setzen in Beziehungen – 99% scheitern an einer Sache
3# Blockade: Mein Mann beschützt mich nicht, weil er Groll gegen mich hegt
Ein anderes Problem kann Groll sein. Wenn dein Mann wütend auf dich ist, will er dich vielleicht gar nicht beschützen.
Nehmen wir an, du hast etwas gesagt, was ihn verletzt hat. Direkt danach macht jemand einen Scherz auf deine Kosten. Glaubst du, dein Mann wird sich jetzt noch für dich einsetzen? Nein, wahrscheinlich wird er das Ganze als Karma betrachten. Deine gerechte Strafe dafür, dass du ihn verletzt hast.
Groll ist allerdings leicht zu erkennen. Erstens baut Groll sich mit der Zeit auf. Wenn dein Mann dich also schon immer nicht beschützt hat (auch am Anfang der Beziehung nicht), wird es eher nicht an Groll liegen. Zweitens wirkt sich Groll auf alle Beziehungsbereiche aus. Wenn dein Mann also nicht generell ständig genervt von dir ist, wird es ebenfalls eher kein Groll sein.
Lies auch: Groll hegen in einer Beziehung & wie du es stoppst
4# Blockade: Mein Mann beschützt mich nicht, weil er konfliktscheu ist
Du sagst selbst über deinen Mann, dass er „Angst vor Konfrontationen“ hat. Wenn ein Mann konfliktscheu ist, dann erkennt er, wenn du angegriffen wirst, macht aber trotzdem nichts dagegen, weil er den Konflikt scheut. Soweit, so logisch. Nur stimmt das nicht so ganz.
Dein Mann wird nach so einer Situation garantiert in einen Konflikt geraten, allerdings mit dir statt mit der Person, die dich angegriffen hat. Er hat also nicht wirklich Angst vor Konfrontationen, denn er vermeidet Konfrontationen gar nicht. Es geht eher darum, dass er Angst vor Konfrontationen mit bestimmten Menschen hat (und du gehörst nicht dazu).
Als Frau kann das massiv frustrieren. Du fragst dich vielleicht, warum er lieber mit dir streitet, statt mit der Person, die dich angegangen ist. Wie zum Beispiel dieses Prachtstück von einem Arbeitskollegen, der an deine Brust gefasst hat. Sollte er nicht lieber mit dem streiten als mit dir?
Tatsächlich gibt es einen einfachen Grund, warum er sich auf Streit mit dir statt mit dem Täter in diesen Situationen einlässt. Er fühlt sich sicher bei dir. Es ist derselbe Grund, aus dem Kinder sich schlechter benehmen, wenn sie bei Mama sind. Er weiß, dass du ihn liebst. Er weiß, dass du ihm sein Fehlverhalten verzeihst und ihn nicht ablehnst, wenn er etwas tut, was dir nicht gefällt (zumindest nicht dauerhaft). Also hat er keine Angst vor Konfrontationen mit dir.
Bei seiner Chefin und bei seinem Vater scheint er sich dagegen nicht sicher zu fühlen. Vielleicht fürchtet er sich vor Ablehnung oder vor weittragenden Konsequenzen. Also macht er nichts, auch wenn er selbst findet, dass sie es verdient hätten. Betrachte seine Reaktion als Angststarre. Es ist nicht unbedingt die attraktivste Eigenschaft, aber durchaus menschlich. Und mal ehrlich: Zumindest bei eurer Chefin scheint dein Mann berechtigt Angst zu haben. Wenn sie eine Schwangere „zur Sau gemacht“ hat und kündigen wollte, hat sie bereits bewiesen, dass sie alle Grenzen überschreitet.
Eltern sind der Endgegner für konfliktscheue Menschen
Nicht jede Geschichte ist gleich, aber die Chancen stehen gut, dass dein Mann seine Konfliktscheue Mama und/oder Papa zu verdanken hat. Dann von ihm zu verlangen, dass er sich gegen seinen Vater auflehnt, ist mehrere Level über seinen aktuellen Fähigkeiten. In etwa so als müsste jemand Soufflé machen, der nicht mal ein Rührei hinbekommt.
Das heißt natürlich nicht, dass du sein Verhalten hinnehmen musst. Wenn du massiv angegriffen wirst (gerade als Schwangere), hast du jedes Recht wütend auf deinen Mann zu sein, wenn er das beobachtet und nichts dagegen unternimmt. Es geht nicht darum, das Verhalten deines Mannes zu entschuldigen. Nur darum es zu verstehen. Wir erinnern uns: Wenn du ein Problem lösen willst, musst du es erst einmal verstehen. Und etwas verstanden zu haben, muss nicht bedeuten, dass man auch einverstanden ist.
Wenn dein Mann wirklich Angst vor Konfrontationen hat, dann will er dich beschützen. Er kann es bloß nicht, weil er Angst hat. Auch wenn er sich das vielleicht nicht bewusst eingesteht. Jeder Mann ist gerne der Held für seine Frau. Es ist extrem schwer für Männer sich einzugestehen, wenn sie das nicht sein können. Vor allem in einer Gesellschaft, in der er das „starke Geschlecht“ spielen muss.
Möglicherweise sagt dein Mann sogar deshalb, Konfliktscheue wäre einfach „seine Persönlichkeit“ und er könne „daran nix ändern“. Wenn er etwas nicht ändern kann, braucht er es auch nicht zu versuchen. Und wenn er es nicht versucht, kann er auch nicht scheitern.
Konfliktscheue ist die ungesunde Form von Friedfertigkeit. Friedfertige Menschen möchten keine Konflikte, sie scheuen sich aber nicht davor, wenn sie wirklich notwendig sind. Konfliktscheue Menschen unterwerfen sich beim kleinsten Anzeichen von Unstimmigkeit – auf ihre eigenen Kosten (oder eben auch auf deine Kosten).
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5# Blockade: Mein Mann beschützt mich nicht, weil er sich selbst nicht schützen kann
Eigentlich ist dieser Punkt ebenfalls eine Form von Konfliktscheue, aber er geht noch einen Schritt weiter. In so einem Fall hat dein Mann nicht nur Angst vor Konfrontationen, er könnte dich auch nicht beschützen, wenn er keine Angst hätte, weil er es nie gelernt hat. Er kann dich nicht schützen, weil er nicht mal sich selbst schützen kann.
Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Mensch sich selbst nicht schützen kann. Ihm wurde vielleicht Unterwerfung (Konfliktscheue) vorgelebt, oder es wurde ihm antrainiert. Vielleicht musste er als Kind alles tun, um es den Eltern rechtzumachen, und seine eigenen Bedürfnisse waren zweitrangig. Vielleicht wurde er sogar bestraft, wenn er für sich selbst eingestanden ist. Kommen wir nun also auf die Eltern deines Mannes zu sprechen.
Kinder brauchen ihre Eltern, um zu überleben. Deshalb stellen Kinder ihre Eltern auch nicht in Frage und tun alles, damit sie zufrieden sind. Die Natur hat das so eingefädelt, damit Eltern ihre Kinder versorgen wollen. Jetzt sind aber nicht alle Eltern gute Eltern und selbst gute Eltern machen Fehler.
Dass Kinder sich ihren Eltern unterwerfen ist erstmal ganz natürlich. Liebevolle Eltern stellen die Bedürfnisse ihrer Kinder jedoch an erste Stelle, sodass diese natürliche Unterwerfung keine negativen Auswirkungen auf das Kind hat. Liebevolle Eltern wollen außerdem, dass ihre Kinder lernen in Konflikten für sich einzustehen. Also zeigen sie ihnen, wie das geht. Toxische Eltern tun das nicht.
Toxische Eltern werten ihre Kinder ab, kritisieren sie übermäßig, oder sie vernachlässigen sie (uvm). Weint das Kind daraufhin, oder macht es seinem Unmut Luft, wird es dafür bestraft. Toxische Eltern unterbinden jede Regung der Kinder, die sich vermeintlich gegen die Eltern richtet.
Die Kleinen lernen also, dass es ein Fehler ist, für sich einzustehen. Sie lernen, dass ihre Bedürfnisse nicht so wichtig sind wie die Bedürfnisse anderer Menschen. Außerdem lernen sie, dass sie sich selbst nicht schützen können und bereits für den Versuch bestraft werden. Also lassen sie es. Wenn dein Mann sagt, er könne „daran auch nix ändern“, weil es einfach seine Persönlichkeit wäre, ist das vielleicht einfach erlernte Hilflosigkeit.
6# Blockade: Mein Mann beschützt mich nicht, weil er Misshandlung nicht erkennt
Misshandlung wird oft missverstanden. Wir stellen uns direkt körperliche Misshandlung vor, in Form von Schlägen oder sexuellen Übergriffen. Es gibt aber noch ein breites Feld an emotionaler Misshandlung und die bleibt in unserer Gesellschaft oft unerkannt.
Kinder, die in einem toxischen Haushalt aufgewachsen sind, lernen im Kern zwei widersprüchliche Botschaften:
- Meine Eltern lieben mich.
- Meine Eltern behandeln mich schlecht.
Weil diese beiden Botschaften nicht zusammenpassen, müssen die Kinder sie abwandeln, um sie in Einklang zu bringen. Da Kinder jedoch abhängig von ihren Eltern sind, können die Eltern niemals das Problem sein. Also fangen diese Kinder entweder an zu glauben, dass ihre Eltern sie schlecht behandeln, weil sie schlecht sind und es verdient haben (sie suchen also das Problem bei sich), oder sie fangen an zu glauben, dass ihre Eltern sie gar nicht schlecht behandeln. Sie denken dann, dass das Verhalten ihrer Eltern normal sei.
Diese Glaubenssätze werden oft jahrzehntelang nicht hinterfragt. Es gibt Millionen Menschen da draußen, die entweder glauben, es gäbe kein Problem oder sie wären das Problem (es sei zB einfach „ein Teil ihrer Persönlichkeit“), obwohl ihre lieben Eltern ihnen das eingebrockt haben.
Wenn dein Mann also schlechte Behandlung als Norm abgespeichert hat, nimmt er sie nicht mehr als Problem wahr. Dann sieht er logischerweise auch keinen Grund sich dagegen aufzulehnen. Es gibt ja kein Problem.
Ein Beispiel: Dein Mann ist es gewohnt, dass seine Bedürfnisse nie wichtig waren. Wenn du dich nun darüber ärgerst, dass sein Vater sich selbstsüchtig verhält – auf eure Kosten – wird dein Mann das Problem am Verhalten seines Vaters nicht erkennen. Das, was sein Vater macht, ist für ihn normal. Für ihn ist eher dein Verhalten unnormal. Er wird nicht verstehen können, warum du dich aufregst.
Das gilt natürlich nicht nur für seine Eltern. Kinder, die von klein auf dazu erzogen werden, sich zu unterwerfen, behalten dieses Verhalten als Erwachsene bei. Nur dass sie dann nicht nur eine schlechte Behandlung von ihren Eltern akzeptieren, sondern auch von Chefs, Kollegen, Freunden, Partnern und auch Fremden.
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„Mein Mann beschützt mich nicht“ – 3 Tricks, um das zu ändern
1# Sprich es an
Du kannst dich selbst nicht ansehen ohne Spiegel. Wir Menschen brauchen immer jemanden (oder auch etwas), der uns unser Verhalten spiegelt, damit wir es erkennen können.
Dein Mann handelt so, wie er es gelernt hat. Es ist für ihn normal. Er braucht jemanden, durch dessen Augen er sich sehen kann, um zu erkennen, dass es vielleicht doch nicht normal ist. Zeig ihm, dass man eine Situation auch anders betrachten kann. Achte allerdings darauf, wie du es sagst. Beginnt ein Gespräch negativ, endet es auch negativ. Deshalb ist es wichtig, dass du ihm sein Verhalten nicht durch Vorwürfe versuchst zu spiegeln. Das wird nicht funktionieren.
Wenn du das Gespräch mit einem Vorwurf anfängst, müsste dein Mann schon extrem viel Wohlwollen und Willenskraft aufbringen, um die Unterhaltung noch zu retten. Männer wollen der Held für ihre Frau sein. Glaub nicht, ihm wäre es egal, wenn er dich nicht beschützen kann. Das bedeutet: Er ist in so einer Situation wahrscheinlich schon selbst unzufrieden mit sich. Wenn er sich dann auch noch attackiert fühlt, schnappt er vermutlich einfach nur zurück und ihr streitet.
Geh stattdessen auf die Situation selbst ein und nicht direkt auf sein Verhalten. Dich hat gerade jemand angegriffen. Zeig ruhig deine Emotion darüber. Auch wenn dich das Nichtstun deines Mannes viel mehr belastet. Klammere das mal kurz aus. Erklär deinem Mann, was du fühlst und wieso. Lass dich von ihm trösten.
Konfliktscheue Männer sind in der Regel sehr empathisch. Er wird gut nachvollziehen können, warum du verletzt bist. Erst dann, wenn du sein Mitgefühl hast, kannst du fragen, ob er nichts gesagt hat, weil er der anderen Person zustimmt. Er wird mit Sicherheit sehr energisch dagegen stimmen und erstmals erkennen, dass man sein Schweigen auch als Zustimmung interpretieren kann.
2# Schau ebenfalls in den Spiegel
Nur weil dein Mann dich nicht beschützt, bedeutet das nicht, dass du schutzlos ausgeliefert bist. Du kannst dich auch selbst schützen. Solltest du sogar. Du schuldest es allen Menschen, die dich liebhaben, dass du gut auf dich aufpasst.
Das bringt uns zu der berechtigten Nachfrage: Warum tust du es nicht? Warum beschützt du dich nicht selbst? Und warum ist dir dann so wichtig, dass dein Mann dich beschützt, wenn du es doch ohne weiteres selbst machen könntest?
Es gibt in der Paarberatung eine berühmte Theorie nach dem Schweizer Psychoanalytiker Jürg Willi: Das unbewusste Zusammenspiel der Partner. Jetzt wird es komplexer und psychologischer, aber niemand sagte, dass es einfach sei Beziehungsprobleme zu lösen.
Laut Willi‘s Theorie bringen wir ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit (meist mit den Eltern) mit in die Beziehung ein und suchen uns einen Partner, der im Kern denselben ungelösten Konflikt hat. Beide Partner tragen diesen Konflikt aber in verschiedenen Rollen aus (einer aktiv, einer passiv), sodass der Eindruck entstehen kann, jeder wäre das Gegenteil vom anderen (zB dein Mann hätte Angst vor Konfrontationen und du nicht). Tatsächlich erhoffen sich beide Partner insgeheim voneinander, dass der andere das Problem lösen kann. Er hofft, dass du Konflikte für ihn löst und du erhoffst dir dasselbe von ihm. Es geht also eigentlich um eine Entwicklungsaufgabe, die beide vermeiden möchten. Unbewusst versteht sich.
Da beide Partner dasselbe Problem haben, können sie sich gegenseitig oft zum ersten Mal aufzeigen, dass sie ein Problem haben. Denn es ist einfacher Probleme bei anderen zu sehen als bei sich. Dann können sich beide weiterentwickeln. Nach Willi sind Beziehungen demnach ein gemeinsamer Reifeprozess. Gerät er ins Stocken oder bleibt stehen, fühlen sich die Partner, als steckten sie in einem Teufelskreis. Die Beziehung tritt auf der Stelle.
Laut dieser Theorie könnte es also sein, dass du dir einen Mann gesucht hast, der dich nicht beschützen kann, weil du dich selbst nicht beschützen kannst. Vielleicht hast du als Kind ebenfalls nie gelernt für dich einzustehen und jetzt hoffst du, dass dein Mann dich beschützt, weil du dich insgeheim sonst schutzlos fühlst.
Geh in dich und hinterfrag, warum dir so wichtig ist, dass dein Mann dich beschützt. Du musst es niemandem sagen, aber vielleicht hast du ja wirklich eine Entwicklungsaufgabe, die du noch meistern musst.
Wenn ihr tatsächlich beide in einer aktiv/ passiv Rollenverteilung feststeckt, kann es sehr schwer sein, da alleine wieder herauszufinden. In so einem Fall kann die Paartherapie der schnellste Weg zurück zu einer glücklichen Beziehung sein. Schreib mir einfach eine Email an hallo@fraginga.de und vereinbare einen Termin zum Erstgespräch.
3# Sei ihm ein Vorbild
Nehmen wir an, du hast wirklich kein Problem, dich selbst zu beschützen. Nur dein Mann kann weder dich noch sich schützen. Das kann auch sein. Ich kenne euch nicht. Aber wenn dein Mann dich nicht beschützen kann und du schon, spricht nichts dagegen, dass du ihm zeigst, wie es geht. Wenn du gut Schachspielen könntest, hättest du ebenfalls keinen Stress damit, es deinem Mann beizubringen, wenn er es lernen will.
Zeig ihm durch Taten, wie er dich beschützen könnte. Das bedeutet: Beschütze dich selbst und zwar so, dass er es mitbekommt. Das nächste Mal, wenn sein Vater, ein Kollege, eure Chefin (oder sonst wer) dich schlecht behandelt, steh für dich ein. Setze eine klare Grenze und verbinde sie mit Konsequenzen.
Kleine Randnotiz: Meine Lieblingskonsequenz ist Distanz. Wenn mich jemand schlecht behandelt, dann kann er das tun, aber nur ein Mal. Beim nächsten Mal entziehe ich mich der Situation. Bei Wiederholungstätern bleibe ich ganz weg.
Dein Mann darf lernen, wie er für sich einsteht und für die Menschen, die er liebt. Aber wenn er das noch nicht kann, ist das okay. Er konnte es vielleicht bisher einfach noch nicht lernen. Wenn seine Eltern ihm da schon in der Kindheit einen Strich durchgezogen haben, dann darfst du Mitgefühl für ihn empfinden. Er hatte es nicht einfach.
Es gibt so viele Klischees über Männer in unserer Gesellschaft. Sie müssten das starke Geschlecht sein, sie könnten nicht kommunizieren, sie müssten die Beschützer sein usw. In erster Linie sind Männer Menschen. Das heißt sie haben genauso ihre Kindheitswunden, Schwächen, Ängste und Gefühle wie du. Sie brauchen auch mal Hilfe, ermutigende Worte und einen Ort, wo sie weich fallen können. Und ganz ehrlich: Wahrscheinlich bist du der einzige Ort auf dieser Welt, an dem er weich fallen darf.
Wenn ihr Hilfe dabei braucht, dieses Thema anzugehen, helfe ich euch gerne im Rahmen einer Paartherapie. Du kannst mich gleich hier kontaktieren und ein Erstgespräch vereinbaren.